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Wie groß ist schon Jakobstadt?
by Helker Pflug

Latvian provincial jews with the eyes of the Latvian-born Germans Herbert v. Hoerner, Waltraud Villaret and Johann Jakob v. Uexküll.
An annotated reading.

Lettländische Provinzjuden im Blick der Deutschbalten Herbert v. Hoerner, Waltraud Villaret und Johann Jakob v. Uexküll
Eine annotierte Lesung

Das Leben im Baltikum vor und nach dem Ersten Weltkrieg wurde und wird vielfach als gelungenes Beispiel für „das Zusammenleben so verschiedenartiger Völker wie Letten, Russen, Esten, Juden und Deutscher“ (Waldtraut Villaret) betrachtet. Die als vorbildlich geltende Minderheitenschutzgesetzgebung Estlands aus der Zwischenkriegszeit und das Engagement der deutschbaltischen Politiker Werner Hasselblatt und Paul Schiemann im europäischen Nationalitätenkongreß scheint dies zu bestätigen. Mit der Mehrsprachigkeit größerer Personenkreise als Voraussetzung für beruflichen wie privaten Austausch verbindet sich zudem die Vorstellung eines gewissen Verständnisses füreinander. Doch auch in Estland, Lettland und Litauen ist es während des Zweiten Weltkriegs zu massiven Ausgrenzungen, Umsiedlungen und Deportationen bis hin zur Ermordung ganzer Bevölkerungsgruppen gekommen. Zwar war diese Politik durch die Großmächte Sowjetunion und Deutschland bedingt, sie hatte aber Vorläufe und hätte im vorliegenden Ausmaß nicht ohne die Beteiligung oder zumindest Zustimmung Einheimischer vonstatten gehen können. Vor diesem Hintergrund ist das oftmals in der Rückschau stilisierte spannungsfreie Miteinander der einzelnen Nationalitäten genauer zu untersuchen. Die geplante „annotierte Lesung“ untersucht dies an Texten dreier deutschbaltischer Autoren und deckt dabei ein gewisses Gattungsspektrum baltisch–literarischer Schreibproduktion ab: Bei der Novelle „Der große Baum“ von Herbert v. Hoerner (1884–1950) handelt es sich um einen rein fiktionalen Text; bei der Anekdotensammlung „Zar und Zimmerfrau“ von Waldtraut Villaret (geb. 1914) ist der autobiographische Anteil des Materials deutlich spürbar; dem Biologen Johann Jakob v. Uexküll (1864–1944) schließlich geht es in seinen „Niegeschauten Welten“ um die rückblickende Übertragung seiner naturwissenschaftlich–philosophischen Lehre auf ihm nahestehende Menschen seiner frühen Lebensjahrzehnte. Unter Berücksichtigung aller inhaltlichen wie sprachlichen Unterschiede der Texte kann man zu dem Ergebnis kommen, daß die Wahrnehmung des Anderen weit stärker als erinnert mit Stereotypen behaftet ist und es sich folglich oft nur um ein Nebeneinander gehandelt hat. Insbesondere die Darstellung von Juden erscheint (bewußt oder unbewußt) schemenhaft, einzelne Passagen weisen zudem eine antisemitische Tönung auf. Diese haben sich bemerkenswerterweise in den Nachkriegsauflagen erhalten.
Helker Pflug was born in 1965. Study of evangelical theology in Erlangen and Münster, of eastern european history, political science and slavistics in Cologne, where he in 1990 founded the mail order bookselling and second hand bookshop "Mare Balticum". In 1996 he takes over the publishing house "Wissenschaft und Politik" (science and politics). In 2007 he opens a baltic bookstore in Berlin

Geboren 1965. Studium der Evangelischen Theologie in Erlangen und Münster, dann der Osteuropäischen Geschichte, Politologie und Slawistik in Köln, dort 1990 Gründung der Versandbuchhandlung und des Antiquariats "Mare Balticum", 1996 Übernahme des Verlags "Wissenschaft und Politik", 2007 Eröffnung einer baltischen Buchhandlung in Berlin-Charlottenburg.



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