Nach der Erinnerung
von Sven Eggers
The lecture in English 1. Vorsatz 2. Erinnern und Verdrängen 3. Vergessen und Verlieren 4. Opfer und Täter: Musealisierung 5. Identität 6. Mahnung 7. Betroffenheit und Bewältigung 8. Spüren und Verstehen : Kunst 9. Bilder und das Undarstellbare 10. Das Foto der Synagoge 11. Fassung und Ende 12. Nachsatz: Bücher und Bücherei 1. Vorsatz Wie das erinnern, was nicht eigene Erfahrung ist, für das wir aber ein Verlangen haben, das es erinnert wird? Was, wenn es nicht vorstellbar ist? Oder es zu schwer zu ertragen ist? Was zeigen wir? Wie funktionieren Mahn- und Denkmäler? Wie wirkt Übertragung durch sie? Verhindert Erinnern ein Verstehen? Ist Vergessen notwendig? Welche Bilder haben wir in Kuldiga und wo kommen sie her? Dienen gar Relikte der Ideen der Shoa? „Nie wieder Faschismus” - wie nur? Wir zeigen mit dem Finger darauf. Dort. Dort war es. Was? Christa Wolf schrieb: Wir waren jetzt da. Wir werden jetzt hier gewesen sein. Irgendwann werden die, die eine Erinnerung an eigene Erfahrung der Shoa haben, verschwunden sein. Schon die Teilnehmer dieses Symposiums gehören zum überwiegenden Teil der zweiten oder dritten Generation an, die, wie James E. Young schreibt (1) , „unauslöschlich” von der Shoa geformt wurde. Die Katastrophe erinnern heißt für sie, Übermitteltes erinnern. Wie gehen wir mit mehrfach vermittelten Erfahrungen des Erinnerns um, der Vergangenheit aus zweiter Hand? „Es handelt sich um eine Generation, die die Erinnerung an den Holocaust nicht mehr von der Art und Weise, in der sie weitergegeben wurde, unterscheiden will oder kann.” 2. Erinnern und Verdrängen Erinnern ist eine persönliche Tat, doch kommt Erinnerung auch über dich. Auch gibt es Erinnerung als kollektives Phänomen. Wer erinnert wie wen wann? Sie kann sich auf eigene Erfahrungen beziehen wie auch auf fremde. Dann wird die Übertragung eine Erzählung, die geglaubt oder bezweifelt werden kann. Auch Stereotype und Phantasmagorien wie der jüdische Weltverschwörer oder das Herrenblut werden weitergereicht und halten sich in der Erinnerung. Die Generationen der Nachgeborenen, der Kinder und Enkelkinder, werden nicht von Erinnerung an eine eigene direkte Erfahrung der Greuel und nicht durch Fragen der Schuld bedrängt. Für sie besteht die Möglichkeit, sich mit den Erinnerungen und Geschehnissen der Shoa aufarbeitender auseinanderzusetzen und die Gefahr, sich von der Shoa nicht mehr betroffen zu sehen. Die Überlebenden erinnern sich an Dinge, von denen sie nicht mehr los kommen; manche erzählen davon. Etienne van Ploeg baute sich nach 1945 den Ort, dem er nicht entrinnen konnte en miniature in einer Zigarrenschachtel nach, „in einem scheinbar handhabbaren Format”, wie es im Begleittext in Sachsenhausen heißt, seinem Ort, wo sie nun ausgestellt ist. Die Zeitzeugen, die sich weder als Opfer noch als Täter wahrnehmen, vielleicht haben sie es einfacher? Sie haben weniger erlitten, doch reicht das? Können sie es bewältigen? Oder haben sie Schuldgefühle und finden Taktiken des Entkommens? Und wenn sie alle irgendwann verschwunden sind? Dann ist es vielleicht weniger die Frage nach dem Wie des Erinnerns, sondern nach dem Was des Erinnerns: Was wird erinnert? Von wem oder was? Wenn die Erfahrungen der Shoa nicht mehr die eigenen sind, wer erzählt dann von ihnen? Das Weiterreichen durch direkte Kommunikation, doch Erinnern ist nicht gleichzusetzen mit Wahrheit: „Mein Opa war kein Mörder”. Eine anderen Betroffenheit. Die Erinnerung wird überschätzt. Wir sollten weniger sagen, daß wir uns erinnern, viel eher fragen, wie wir dies machen. Der Öffentlichkeit reicht, daß wir uns erinnern. „Anders als die deutsche Gesellschaft können sich die Überlebenden den Erfahrungen der Demütigung und den Erinnerungen an die Verbrechen nicht entziehen. Auschwitz und die Vernichtung sind bestimmend für ihr weiteres Leben. Wir stehen in dieser Auseinandersetzung erst am Anfang und sind doch bereits an ihrem Ende. Denn mit dem Tod der letzten Zeugen der Vernichtung droht auch die Erinnerung zu sterben.” (8, The final insult (2)) Es war eine furchtbare zeit - aber wir waren furchtbar : wut war das gefühl der zur besinnung gekommenen. Nun wir, eine generation später, ich stehe nur vor einer ohn-mächtigkeit. Ich weiß nicht. Ich schrieb das wort mit bindestrich: es bindet ohne und macht. Ich sehe, es hat noch immer macht, das nichtwissenwollen, das gar nicht vergessen brauchen. Eine macht, die uns regiert, ohne sind wir nicht, nur ausgeliefert, und das schlimme (oder das schwierige): auch uns selbst ausgeliefert. "Wer nicht in Auschwitz war, kommt nie hinein. Wer dort war, kommt nie heraus." Primo Levi Kein Vergessen. Verdrängen „Die Tilgung der Erinnerung ist eher eine Leistung des allzu wachen Bewußtseins als dessen Schwäche gegenüber der Übermacht unbewußter Prozesse.” Sagte Adorno (3). „ Die Verneinung ist eine Art, das Verdrängte zur Kenntnis zu nehmen, eigentlich schon eine Aufhebung der Verdrängung, aber freilich keine Annahme des Verdrängten.” Siegmund Freud (1968: 12) Während der Ausstellung: „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944”, die in den Jahren 95 bis 99 in vielen Städte Deutschlands und Österreichs gezeigt wurde, kam es zu vielen Interviews mit Besuchern, die als Soldaten am Vernichtungskrieg im Osten teilgenommen hatten. Das Buch „Tote Zonen” von Hannes Heer (4) zeigt uns in vielen Facetten die Verformung, Formung ihrer Erinnerungen. Ein Beispiel: „Vielleicht sind die Antworten der beiden Zeitzeugen gerade deshalb so ertragreich, weil sie niemals vorher durchgeprobt waren, sondern aus der unerwarteten Konfrontation mit dem längst für erledigt Gehaltenen entstanden. Denn obwohl sie sich der konkreten Details wie des eigenen Anteils an Verbrechen konsequent verweigern, sind sie in der Schilderung der allgemeinen Abläufe von hohem Informationswert: Das Ineinander von militärischer Operation und rassenideologisch bedingtem Terror, das P. stammelnd beschreibt (...). Über die Bestätigung hinaus, die beide Interviews dem Historiker liefern, sind sie deshalb so wichtig, weil sich die Erzähler im Stammeln und Verstummen, gleichsam mit zerbissener Zunge, deutlicher als in allen anderen Gesprächen als Täter zu erkennen geben. Offensichtlich hängt das damit zusammen, daß beide die furchtbaren Ereignisse des Krieges vergessen wollten, aber nicht tatsächlich vergessen haben. Vergessen haben sie statt dessen, was sie vergessen wollten. Dadurch sind sie dem plötzlichen Wiedererinnern schutzlos ausgesetzt. Anstatt die grausigen Ereignisse von damals verdrängt, also vom Bewußtsein ferngehalten oder sie durch fiktive positive Erlebnisse zugedeckt zu haben, sind sie in irgendwelchen „dunklen Ecken” des Erinnerungssystems abgelagert werden. Durch ein „ungewöhnliches Stichwort” wird der Zugang zu diesem abgeschiedenen Erinnerungsreservoir plötzlich gebahnt, der Erzähler wird von den unerwarteten, nicht mehr gewußten und nicht zu kontrollierenden Erinnerungen überwältigt. Das Entstehen solcher „lebendigen Erinnerungen”, so Daniel Wright George Gashell, verdankt sich traumatischen, in jedem Fall aber bedeutsamen Ereignissen. (…) Unsere beiden Zeugen können sich erinnern, weil das Erinnerte ihrem Erwachsenenleben angehört. Weil sie es aber nicht auf dessen letzten Stand gebracht haben, ist es frisch und unbearbeitet wie zum Zeitpunkt, da es entstand. Frisch und unbearbeitet heißt - es trägt alle Anzeichen des Schocks und der emotionalen Verwirrung von damals. Diese ‚unfreiwilligen Erinnerungen’ deuten nicht nur auf Vergangenes hin, sie sind ‚das Wiedererleben der Vergangenheit in der Gegenwart.” (246 f.) Tätererzählungen, die erst zustande kommen durch psychologische Aufmerksamkeit. Die Traumatisierten, die mit Schuld Beschäftigten, die Toten: sie alle schweigen und der Riß zur Kindergeneration wächst weiter. Nachfolgende Generationen sind im Ungewissen darüber, wie die Grausamkeiten geschahen und wer wie beteiligt war. Es gibt Erinnerungen, aus deren Repertoire gerne erzählt wird, es gibt Erinnerung, die sich unerwartet ihren Weg bahnt. Die Fülle der für Brieftasche und Familienfotoalbem vorgesehenen Fotos der stolzen Pose während der Exekutionen, wie man sie in der Wehrmachtsausstellung sehen konnte, deutet das Spektrum der Erinnerungsstücke an. Ich verlasse die Bahn der Erinnerungsforderung als Mahnmalzweck und fange an mich für Pathologie zu interessieren. Amnesie (griechisch a „ohne, nicht” und mnesis „Erinnerung”) bezeichnet eine Form der Gedächtnisstörung für zeitliche oder inhaltliche Erinnerungen. Hervorgeführt durch Traumata oder durch Hirnwäsche. 3. Vergessen und Verlieren Vergessen: Wenn die Erfahrungen so schwerwiegend sind, daß ein Bestehen erst durch das Vergessen können möglich wird. Diese Verschiebung von bewußtem Verdrängen zu „mechanischem” Vergessen kennen wir deutlicher bei den Opfern (5). Vergessen als Ertragen-können. Wenn die Erlebnisse wie Geräusche in einem Körper-Lautsprecher abgespielt werden: Ist die Lautstärke zu hoch oder die Frequenzen zu fein oder zu kräftig, kann sie das Gerät nicht mehr aufnehmen: Die Kuppe der hoch ausschlagenden Sinuskurve wird einfach nicht hörbar, da das Gerät nur noch eine Leerstelle übermittelt. Oft hört man aber ein spezielles Fehlergeräusch. Nach Hermann Schmitz ist Vergessen kein Verschwinden des Vergessenen, sondern ein Wechsel von benennbare Dingen in eine chaotische Mannigfaltigkeit, Möhren, Kartoffeln und Speck wird zu Eintopf. Sicherinnern ist dann das Herausfischen von einzelnem Gemüse aus der Suppe. „Das wichtigste Vehikel der Implikation in die persönliche Situation ist aber das Vergessen, keineswegs ein Verlieren, sondern ein Einschmelzen des Erfahrenen in chaotische Mannigfaltigkeit gleich dem Einheilen von Wunden in die persönliche Situation, die ohne das Vergessen zerfallen würde und sich nicht immer wieder neu und bereichert zur Ganzheit abrunden könnte. Das Vergessene konsolidiert sich zu Kristallisationskernen in der Erinnerung, die als Situationen in der persönlichen Situation auch ohne Reproduktion nachhaltig weiterwirken; daneben gibt es reproduzierende, aus der chaotischen Mannigfaltigkeit des Vergessenen Einzelnes explizierende Erinnerung.” Verlieren also. Verlieren ist es. Es ist also gar nicht das individuelle Vergessen, was uns hier ängstigt. Auch das Vergessen wird überschätzt in unseren Diskurs. Das Verlorene ist das eigentlich gefährliche. Vergessen kann auch die einzige Möglichkeit des Bestehens sein, existentielle Notwendigkeit: Traumata werden gelöscht. Die Parole vieler Antifaschisten „Gegen das Vergessen” scheint mir nicht die wichtigste Forderung zu sein. Wir sollen uns erinnern? Wodurch? Die Orte im Gedächtnis behalten, die Relikte der Ermordeten, und die Relikte der Morde, wie helfen sie uns weiter? Wie weit ist das Diktum der fortwährenden Erinnerung der Shoa von den Erinnerungsabsichten der Täter entfernt? 4. Täter und Opfer. Musealisierung In Prag gab es 1942 bis 1945 das „Jüdisches Zentralmuseum” aufgebaut von jüdischen Wissenschaftlern unter Aufsicht und Anleitung der SS und ausgestattet mit Judaica aus den deportierten Gemeinden. „Kann man es zulassen, daß sich, wie auch immer ein Text im Einzelnen strukturiert sei, eine historische Erzählung abrollen wird, wo doch die Ordnung der narrativen Rekonstruktion von Vergangenheit in Form von Geschichte/n selbst immer schon jenen Diskurs affirmiert, welcher dem Nationalsozialismus Begriffe wie Endlösung und Endsieg semantisch überhaupt erst ermöglichte? ‚Beginn’ (arché) bedeutete in der altgriechischen Polis auch Befehl; Gedächtnis bedarf des Imperativs zur Erinnerung, um überhaupt in Bewegung gesetzt zu werden [Derrida, Mal d’Archive]. Die Neukonfiguration des Jüdischen Museums in Prag ist tatsächlich Effekt einer administrativen Order. (...) Doch verpackt wurden Kultgegenstände, ausgepackt und katalogisiert hingegen Objekte. (...) Als Datenbanken sind museale Depots indifferente Objekte von Registraturen; den Unterschied macht allein die Absicht, die diskursive Ausrichtung (der Sinn) ihres Gebrauchs. Damit ist eine klassische Bedingung des Mediums Museum angesprochen, die es von rein non-diskursiven Speichern unterscheidet: die Ausstellung und das Zeigen als diskursive Schnittstelle zum Besucher, dem Adressaten.(6) (424 f.) „We may be delegating to the archivist the memory works that is ours alone. Thereby allowing memorials to relieve us of the memory burden we should carrying.”(7) Hitler hatte die Absicht, ein Denkmal zur Erinnerung an die Vernichtung der polnischen Juden zu errichten. Wir wissen nicht, wie es aussehen sollte, doch waren die Steine bereits vor Ort. Dirk Rupnow schreibt: „Gegenüber Formen von Propaganda und der praktischen Umsetzung der Beraubungs- und Vernichtungspolitik sind die Projekte der Täter zur Musealisierung ihrer Opfer nur schwer, teilweise gar nicht abzugrenzen.” Er zitiert Nietzsche „Alle Geschichte ist bis jetzt vom Standtpuncte des Erfolges und zwar mit der Annahme einer Vernunft im Erfolge geschrieben. [...] Die Frage: ‚was wäre geschehn, wenn das und das nicht eingetreten wäre’ wird fast einstimmig abgelehnt, und doch ist sie gerade die kardinale Frage, wodurch alles zu einem ironischen Dinge wird.” Die Tatsache, daß auch nach einem deutschen Endsieg jüdische Museen, Forschungsinstitute zur Beschäftigung mit dem Judentum und Denkmäler für das Verbrechen - verstanden als heroische Tat - hätten errichtet werden können und die Erinnerungslandschaft von unserer heutigen an der Oberfläche vielleicht gar nicht zu unterscheiden wäre, dürfte für einen Blick auf unsere Erinnerungskultur tiefgreifende Folgen haben und müßte eine wesentliche Beunruhigung hervorrufen. (338 f.) Es scheint, wir erinnern uns lieber als das wir uns auseinandersetzen und Konsequenzen ziehen. "Quand les hommes sont morts, ils entrent dans l’histoire. Quand les statues sont mortes, elles entrent dans l’art. Cette botanique de la mort, c’est ce que nous appelons la culture.C’est que le peuple des statues est mortel. Un jour les visages de pierre se décomposent à leur tour. Les civilisations laissent derrière elles ces traces mutilées comme les cailloux du Petit Poucet mais l’histoire a tout mangé. Un objet est mort quand le regard vivant qui se posait sur lui a disparu. Et quand nous aurons disparu nos objets iront là où nous envoyons ceux des nègres, au musée." Les statues meurent aussi - Alain Resnais 5. Identität Eine der großen Aufgaben der Erinnerung ist die Konstruktion von Identität. Wir leben in einer Kultur von Siegererinnerungen. Die Nazis gewannen nicht den Krieg, doch die überlebenden Opfer sind in einer Minderheit, so daß, zumindest in Deutschland, deren Erzählungen Raum fanden. Tätererinnerungskultur Zifonum analysiert kollektive Erinnerung anhand zweier Gedenkstätten, die des ehemaligen KZs Dachau und die Topographie des Terrors in Berlin. Im Fokus steht bei ihm der Prozeß der Identitätskonstruktion. „[Es] können drei Typen der Erinnerung oder drei Teildiskurse innerhalb des deutschen Erinnerungsdiskurses unterschieden werden, die als Betroffenheitsdiskurs, Schlußstrichdiskus und Aufarbeitungsdiskurs bezeichnet werden.” Er unterscheidet drei Diskurse des Erinnerns: Betroffenheit, Schlußstrich und Aufarbeitung(8). Zifonum(9) 133 „Indem der Schlußstrichdiskurs auf das Vergessen der Verbrechen des Nationalsozialismus und eine Zurückdrängung der Erinnerung zielt, sucht er, diesen Antrieb zum Stillstand zu bringen. Dagegen setzt der Betroffenheitsdiskurs bei der Stigmatisierung der Opfer an, die aufrechterhalten wird, um in Anknüpfung an die Opfer Gegenwart und Vergangenheit sinnstiftend zu verbinden. Die Zuschreibung von Schuld für die Verbrechen des Nationalsozialismus wird im Aufarbeitungsdiskurs provokativ nach außen gekehrt und dadurch die Sinnkrise in die Sinnkonstruktion integriert. Der Bruch wird aufrechterhalten und stabilisiert und die selbststigmatisierende Auseinandersetzung mit ihm zum eigentlichen Kern der Identität gemacht.” 227 „Mit dem Modus der ‚Stigmaumkehrung’ wurde eine empirisch fundierte und theoretisch stimmige Erklärung für die paradoxe Begründung deutscher Identität aus der Erinnerung an den Nationalsozialismus präsentiert. (...) Jüdische Identität wird zwar heute vielfach über den Bezug auf den Holocaust begründet, in Deutschland werden Juden jedoch - das zeigen die hier untersuchten Fälle - vor allem als Opfer interpretiert, an denen sich deutsche Identität aufzurichten vermag, oder aber als Ratifizierer deutscher Besserung. 226 Solange die Wahrnehmung als Opfer besteht, ist eine Aufarbeitung unmöglich. „Durch den Verzicht auf eine Selbststigmatisierung als Täter bewegen sich die Dachauer entweder auf dem Gebiet einer unsicheren, vom Schlußstrichdiskurs geprägten Stigma-Identität oder auf dem einer prekären - weil von der Anerkennung durch die ehemaligen Häftlinge abhängigen - Identität im Anschluß an den Betroffenheitsdiskurs, die dazu neigt, zum Schlußstrichdiskurs zu ‚kippen’. (...) In eine Geschichte nationaler Größe lassen sich die Topographie des Terrors erinnerten Verbrechen (...) nicht einpassen. (...) Durch die Definition als Täterort gelang es, eine Betroffenheitsdeutung des Geländes auszuschließen. Auch der Schlußstrichdiskurs erwies sich in der Konkurrenz zum Deutungsangebot des Aufarbeitungsdiskurses als unterlegen, da der Schlußstrichdiskurs durch diesen als das eigentliche Erinnerungsproblem, d. h. als Auslöser einer ‚zweiten Schuld’ gebrandmarkt wurde. In beiden Fällen erwies es sich, dass nur solche Diskurse identitätsgenerierend sind, die, der paradoxen Anlage von Symbolen folgend, zur Abwehr der Schuldzuschreibung den Umweg über die Stigmaannahme nehmen. Schuld stellt damit nicht das Ende, sondern den Anfang der Identitätskonstruktion dar. Das Abzuwehrende erweist sich als kulturschaffend, indem im Prozeß des ‚annehmenden Abwehrens’ eine Umwertung vollzogen wird und Bedeutung und Identität entstehen.” 224 f. Ein neues Kapitel in der deutschen Erinnerungskultur zeigt sich nach dem Mauerfall. Berlin Das Jüdische Museum, das Denkmal der ermordeten Juden Eruopas und die Topographie des Terrors, der Ort des einstigen GeStaPo-Hauptquartiers zeigen das große politische Interesse an öffentlich-offizieller Erinnerung. Doch ist das Jüdische Museum auch eine Einrichtung, die betont von Deutschen und für Deutsche zu sein, und dessen Ausstellung vor allem vom Reichtum einer einstigen jüdischen Kultur als Teil einer deutschen Kultur erzählt. Opfer und Täter. Erwerb und Erhalt von Deutungsmacht: wer besitzt die Deutungsmacht? Erinnern ersetzt Auseinandersetzung, Orte dienen als Kranzabwurfstellen und schaffen eine nationale Identität durch Einverleibung der Opfer und des Opferseins. Wie stolz sie auf den Fotos waren. Die Täter. Wie unbekümmert, sorglos heute die Orte bespielt. Leerstellen Keren Korman erzählte mir von einem Familienalbum mit Fotos aus den Vierziger Jahren und es fehlten auffallend viele Bilder. Die Tochter wußte, daß der Vater als Nazi am Massenmord beteiligt war. Seine fotografischen Erinnerungen ließ er verschwinden, doch blieben die Leerstellen wie Ehrenplätze im Album. 6. Mahnung Mahnmale entstanden aus Kriegs- und Heldendenkmälern, Reiterbilder von Siegern, später dann „gefallene Helden”. Sieger, selbst die KZ-Stelen der DDR sehen aus wie Siegessäulen und ja, sind es ja auch. Nur... Mahnmale im Sozialismus. In den sozialistischen Ländern waren Mahnmäler Helden-, Märtyrerdenkmäler zur Konstruktion eines siegreichen Sozialismus. Der Juden wurde nicht gedacht. Beispiel Salaspils: Die übermenschlichen sozialistische Pathosfiguren heißen „Rotfront” und „Schwur”. Eine leere Fläche und übermenschliche Figuren. Tabula Rasa wurde gemacht, die Vergangenheit reduziert, vereinfacht auf Gründungsfiguren der eigenen neuen Geschichte. „Dinge werden vergessen, wenn der lebendige Blick auf sie verschwunden ist”, sagt Resnais in „Les statues meurent aussi”. Die Statuen sterben auch. Mahnmale sind meist Denkmäler an Orten der Tat, damit haftet ihnen etwas Auratisches an: das Authentische. Manche Orte werden wieder geschaffen, die kollektive Erinnerung - neugeschaffen, Aura inszeniert. Andere stören das Bestehende. Mahnen, er-mahnen, Mahnung, Monster, Automat, memory und memorial haben alle den selben Wortstamm: „manon” = drängen. Ein Mal ist ein Erinnerungszeichen. Ich möchte nun auf das Denkmal (nicht Mahnmal) der ermordeten Juden Europas eingehen. Peter Eisenmans Entwurf wurde ausgeführt, doch möchte ich hier zwei Vorschläge, Entwürfe zum Wettbewerb etwas ausführlicher vorstellen: „Sprengt das Brandenburger Tor in die Luft” von Horst Hoheisel und „Überschrieben” von Rudolf Herz und Reinhard Matz. Horst Hoheisel schlägt den Abriß des Brandenburger Tors vor. Das Brandenburger Tor, zum Zentralsymbol deutscher Größe und Einheit ernannt, soll zerstört und zu Staub zermahlen werden, das Gelände versiegelt werden. Durch das Polemische hatte ich das Werk zuerst unterschätzt. Wie präzise es sich einstellt: Es ist klar, ein Aufschrei würde durchs Land gehen, wäre der Vorschlag durchgesetzt worden. Wie viele wären jeder einzeln ins Mark erschüttert, physisch und psychisch betroffen von der Zerstörung dieses Kulturgutes. An welche Argumente hätte man sich geklammert, wenn es den Millionen ermordeten Menschen gegenübergestellt würde? Es regte sich beim Tod von Millionen kein großes Aufbegehren und individuellen Einsatz, wie er bei dieser Zerstörung zu erwarten ist. Das Brandenburger Tor, bekrönt von der Siegesgöttin im Militärfahrzeug, wurde im Krieg stark beschädigt und dann neu aufgebaut. Kaum ein Stein ist original. Das solche Denkmäler wieder aufgebaut werden, zeigt sich an der Frauenkirche in Dresden. Ich male mir aus wie mit jedem Regierungswechsel das Tor wieder aufgebaut wird, das Mahnmal vernichtet, dann das Mahnmal wieder durch Zerstörung der nächsten Torkopie wieder aufgebaut wird, ganz im Sinne des japanischen Ise-Schreins, der alle zwanzig Jahre, zerstört und wieder exakt gleich aufgebaut wird. Doch wenn heute in Deutschland Denkmäler wie der Palast der Republik abgerissen werden, dann mit der Absicht, das alte Schloß der Monarchie neu wieder aufzubauen. Das Interesse liegt heute an Totalitäten, an runden Erzählungen, Brüche wie sie noch in den Sechzigern möglich waren (Die Ruine der Gedächtniskirche in Westberlin, die erhalten wird und zusammen mit einem zeitgenössischen, sich absetzenden Neubau nebeneinander gestellt, und die Trümmer der bombardierten Frauenkirche in Dresden, die konserviert als Mahnmal im Zentrum der Stadt gelassen wurde. Bezeichnenderweise sind beides Bauten, die die Gewalt, die von Nazideutschland ausging, nicht thematisieren, sondern im Gegenteil das eigene Opfersein durch alliierte Bombardierung inszenieren.) Jahre zuvor,1987, war Hoheisel mit der Rekonstruktion eines Brunnens beauftragt. „Umkehr des Aschrottbrunnens” Dieser war Anfang des Jahrhunderts vor dem Rathaus von Kassel aufgestellt worden, von Nazis dann zerstört wurden, da er von einem jüdischen Bürgers gestiftet worden war. Nach dem Krieg wurden die Überbleibsel mit Blumen überspielt. Hoheisel ließ den Brunnen nach den erhalten gebliebenen Plänen nachbauen ... und drehte ihn um. Das Wasser fließt nun im Trichter der Negativform hinab bis ins Grundwasser, Lethe, Strom des Vergessens(10). Der Platz scheint noch immer leer, erst wenn man auf den Gittern steht, hört und sieht man das Wasser des Brunnens. Horst Hoheisel: „Das eigentliche Denkmal ist der Passant, der darauf steht und darüber nachdenkt, weshalb hier etwas verlorenging.” Es scheint mir eine Umkehr zu sein, das Unterirdische, das Aufweisen von Leerstellen, als Reaktion auf Robert Musils: „Das Auffallendste an Denkmälern ist nämlich, daß man sie nicht bemerkt. Es gibt nichts auf der Welt, was so unsichtbar wäre wie Denkmäler.” Robert Musil: Nachlaß zu Lebzeiten Rudolf Herz und Reinhard Matz schlagen vor das vorgesehene Grundstück in zentraler, touristischer Lage Berlins zu verkaufen und mit dem Erlös eine Einrichtung gegen aktuellen Faschismus zu schaffen. Das Denkmal verlegen sie in die Mitte Deutschlands, in die Nähe Kassels. Sie greifen dort an, „wo der Faszinationsbezug zum ‚Dritten Reich’ am größten und vitalsten ist: auf der Autobahn.”(Welzer 93)(11) Ein Kilometer Autobahn wird mit Kopfsteinpflaster versehen, man kann nur dreißig Stundenkilometer schnell fahren. Ein einziger weiterer Eingriff ist die Aufschrift „Mahnmal der ermordeten Juden Europas” auf den bekannten blauen Autobahnschildern. Der Ort „des Deutschen liebsten Kindes” wird kaum Kranzabwurfstelle werden und beständig in der Diskussion sein. Dies sei gewiß. Der Entwurf „hielte einen Affekt am Leben, der zwischen Schuldgefühl, Aggression, zwischen gelernter Toleranz und Antisemitismus oszilliert und der auch im wirklichen Leben kennzeichnend für das deutsche Verhältnis zu dem ist, was im Nationalsozialismus angerichtet wurde. ‚Deutsche, geht vom Gas!’ wäre in der Tat eine ziemlich gemeine Aufforderung an den an nichts Böses denkenden Autofahrer gewesen.” (94) Es sollte uns somit weit weniger interessieren, das erinnert wird. Aufmerksam müssen wir fragen, was von wem wie erinnert wird. 7. Betroffenheit und Bewältigung Ein kleinteiliges Mahnmal ist die Aktion „Stolpersteine ”: Es werden Gedenktafeln aus Messing in der Größe kleiner Pflastersteine in den Gehweg vor den letzten selbstgewählten Wohnort von Deportierten gesetzt. Die Steine tragen die Aufschrift „Hier wohnte”, den oder die Namen sowie Geburtsdatum und Sterbedatum und -ort. Seit 2003 wurden ungefähr10.000 Steine eingesetzt. Für 95 Euro kann ein Stein gesetzt werden. Initiator des Projekts ist der Künstler Gunter Demnig(12) . Hat man die Steine einmal bemerkt, verfolgen sie einen immer wieder, plötzlich bemerkt man, daß vor dem Supermarkt auch drei solcher Steine sind, ein Vater und seine zwei kleinen Töchter. „Deportiert nach Theresienstadt”, ohne Sterbedatum. Plötzlich bemerkt man, daß Deportierte in jeder Nachbarschaft wohnten, daß es überall Nachbarn waren, und nicht wenige. 8. Spüren und Verstehen 1986 malt Luc Tuymans ein Bild, das einen kargen Raum in gebrochenen, ausgewaschenen Farben zeigt. Die wenigen Einrichtungen sind schwer zu deuten. Das Bild heißt „ Gaskammer”. Das Gemälde zeigt lediglich die Kammer, wie sie heute noch als Gedenkstätte existiert. Luc Tuymans nutzt Bilder, um die Kluft zwischen dem Wissen von dem was dargestellt ist, der Erinnerung, und dem Bild zu betonen. „Man darf nicht malen, was man nicht selbst erlebt hat.” sagt er(13) . Er benutzt Mittel der Distanzierung, als Reflexion und mit dem Wissen um die Unmöglichkeit, die Greueltaten sinnlich zu vermitteln. 9. Bilder und das Unvorstellbare Wenn wir als Kernaufgabe eines Denkmals in unserem Zusammenhang die Hoffnung aussprechen, dass die Shoa nie wieder geschehe, so gilt es sich mit den Bedingungen beschäftigen, die sie ermöglichten. Oder ist es möglich, durch Abschreckung die Gefahr zu bannen? Durch die Darstellung des Undarstellbaren? Ist dem so? Claude Lanzman vermied jegliches Bildmaterial aus der Zeit der Shoa in seinem gleichnamigen Film. Er ging sogar so weit, zu erklären, dass er, würde er Photos aus den Gaskammern entdecken, diese umgehend vernichten würde. Bilderverbot(14). Die Macht der Bilder scheint groß, Bilderstürmer sind gar keine Leugner der Aussagekraft von Bildern, ganz im Gegenteil. Doch führt diese Rede von der Undarstellbarkeit nicht zu einer „Aura des heiligen Entsetzens” wie Ranciere anmerkt(15)? Die Nichtdarstellung der direkten Verbrechen der Shoa war bereits Ziel der NS-Täter. Sie zeigten, wie eben gezeigt, Interesse an der Geschichtlichkeit der jüdischen Kultur sowie an einer ehrenden Darstellung des Ziels dieser Verbrechens: der Auslöschung der Juden, doch das direkte Zeigen der Fotos wie sie in Familienalben landeten, war unter Strafe verboten. Wir müssen uns mit den Bildern der Shoa auseinandersetzen, sie als Teil der Kultur, als Teil unserer Bilderwelt akzeptieren. Das Bild ist nicht identisch mit dem Abgebildeten. Dies wissen und sehen wir. Doch ist es diese Unterscheidungsfähigkeit, die Bilderstürmer den Betrachtern nicht zutrauen. Das Unvorstellbare ist nicht das Undarstellbare, das Unbebilderbare, was nicht das selbe ist wie das Bilderlose, welches kein eigenes Bildrepertoire hat, doch die Möglichkeit, dass wir es mit unseren Bildern bestücken können, besetzen. Doch ist es das, was wir nicht völliig verstehen können, das Unverstehbare. Wir können es nicht fassen. 10. Das Foto der Synagoge In Kuldiga gibt es kein Bild der Shoa. Wir haben Bilderinnerung von Auschwitz oder vom Lodzscher Ghetto. Und nur wenige Kuldigaer Legenden, oder Erzählungen, formen unsere Erinnerungserwartung. Darin enthalten ist auch eine Chance: Der Ort ist nicht so vorgeformt wie Auschwitz, welches fast ausschließlich als Symbol oder als Metapher existiert. Und als Touristensensation. Ersatzbilder Es gibt auch kaum aussagekräftige Bilder des vielfältigen jüdischen Lebens in der Stadt. Ich ertappte mich dabei, wie sich bei mir Bilder einstellten, Chagallbilder, ein Huhn. Ich sehe das Huhn, das an einem Bar Mitzwa in die Saalmitte stürzte, aufgeschreckt aus ihrer Brutnische. Ich weiß, dies gibt es nicht. Es ist falsche Nostalgie. Kein kleiner Junge erinnert sich mehr an den wasserklaren Moment, als er durch die Geräusche unten auf der Straße die Idee eines Zusammenlebens von Menschen und Sprachen verstand. Wir erinnern uns nicht an das Mädchen, deren Romeo und Julia sich von Tränen wellte, auch sie beide konnten die Viertelgrenzen nicht überschreiten. Ich versuche zu erkennen, welche Bäume vor der Synagoge an der Straße standen: Apfelbäume? Haben Sie Idi i smotry gesehen? „Geh und sieh” von Elem Klimow (SU 1985, 137 Min.). Wie alle im heiligen Haus des Ortes (eine Kirche und nicht eine Synagoge: das scheint nicht möglich gewesen zu sein in der Sowjetunion, 1985) bestialisch zusammengetrieben werden und ermordet werden? Ich kann Elem Klimovs Bilder nicht mehr trennen von der Synagoge hier. Переходы ist nicht weit weg. Ich weiß, die Bilder stimmen nicht. Sie sind - verzweifelte oder nostalgische - Annährungen an das, was nicht aus Bildern spricht. Spüren wir den Verlust? Spüren wir das Unvorstellbare? Oder stellen wir uns einfach nichts vor. Geht es verloren? Sind wir, die nachfolgenden Generationen, einfach nicht mehr interessiert daran, uns wirklich damit auseinanderzusetzen? Und wieviel Abwehr besteht noch gegen das Unvorstellbare, die Auslöschung der Nachbarschaft durch die „Befreier von den sowjetischen Besatzern” und durch die eigenen Mitbewohner, gar man selbst oder durch eigene Familienangehörige. Also neue Bilder schaffen? Boltanski sagt, er mache nicht Kunst über den Holocaust sondern nach dem Holocaust. Bilder, die uns heute und hier helfen, uns mit der Shoa auseinander zu setzen als das eine einschneidende Ereignis in der Geschichte der Stadt Kuldiga. 11. Fassung und Ende Zusammenfassung Jedes Bild, jede Erinnerung ist unvollständig. Totalitäten sind mythisch: Sie vereinfachen, reduzieren. Um mit Finkielkraut zu sprechen: Es ist immer möglich, Erinnerung gegen Vergessen zu benutzen. Doch was rettet uns vor der Erinnerung, die Menschen dazu bringt, dass ihr Bewußtsein zu schlafen beginnt und ihre ideologische Gewißheit stärkt? Anzunehmen, dass sich Geschichte nicht wiederholt, wenn es ausreichend Erinnerung gibt, meint ein Verleugnen und gleichzeitiges Überbetonen der Fähigkeit und Funktionen der Erinnerung. Es ist nicht so, dass jeder Umgang mit Erinnerung automatisch Erkenntnis mit sich bringt. Erinnern und sich erinnern sind eine Sache, Erkenntnis eine andere. Auf jeden Fall fördert Erinnern Mitleid und Konsens mehr als dass es ein freies, kritisches Denken. Es tendiert daszu Diskussionen eher abzuschließen als freizugeben und dazu zu ermutigen. Timothy Garton Ash schlägt die Mesomnesie vor, den Mittelweg zwischen Amnesie und Hypermnesie. Worüber soll man nachdenken? Welche Zusammenhänge sollen hergestellt werden? Wie umgehen mit den Massenerschießungsplätze, wie bringen wir sie spürbar in die Stadt? Wie werden die Massengräbern angemessen gepflegt, gehalten? Wo sind die Namen der Beteiligten? Alle Denkmäler sind geschichtlich: Der Ort der Synagoge als solche, als Ort der Shoa, wie es mir nur im Foto und den Erzählungen auftaucht, in der aktiven Negierung des jüdischen Ortes in der Sowjetzeit und heute mit der Gefahr als Nationalidentätserzeuger. Alle Denkmäler sind nur gültig in ihrer Zeit, in Aktualitäten. Sie haben ein Verfallsdatum, nur ist dies versteckt. Das perfekte Denkmal ist ephemer: Es besteht nur im Augenblick, immer wieder, immer anders. Verstörende Präsenz. Mo(nu)mente, nicht die der Erinnerungstouristen, die die Geschichte des Teils mit der des Ganzes verwechseln. Wir benötigen individuelles Erzählen, keine einheitliche Totalität. Jedes Umzeichen offizieller Erinnerung muß provisorisch sein. Denkmäler sind nicht unvergänglich. Sie bestehen in einem Kontext, in Raum und Zeit. Unser Ergeiz sollte es sein, die Schlüssel für jede Zeit zu finden, immer neu. Schluß Abbildungen und Erzählungen sind unsere historische Wirklichkeit, der Teil dieser einen Vergangenheit, den wir, ich erlebt haben. Doch noch besteht die Gefahr, daß dies als Selbstgefälligkeit verhindert, sich mit Überlebenden und der ersten Hand zu beschäftigen. Die ihn erlebten, können kaum davon erzählen, da die Wirklichkeit zu gewaltig ist, die, die sie nicht erlebten, können kaum davon erzählen. Nach-Leben. Bilder aus starker Empfindung beide, doch mit der Zeit siegt die Macht: the nazis, als Archetyp des bösen oder als schicker look und Verwegenheitsversprechung? Was ist uns wichtig? Holocaust als Verstärker wie name dropping. Die Vergangenheit ist ein transitorischer Begriff, einer ihrer Grenzgänger ist der Wiedergänger. Wenn Dinge, die passierten, einfach nicht in Frieden ruhen, Ende: das Wiedererscheinen, immer wieder. Neue Antworten neue Zeiten neue Fragen. Gedenkorte sind zeitgebunden, sie sind: ephemer. „Ich betrachte das Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie als potentiell bedrohlicher denn das Nachleben faschistischer Tendenzen gegen die Demokratie.” Theodor Adorno : Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit 12. Nachsatz: Eine Bibliothek (Bücher und Büchereien) „... weil humane Menschen keine Revolution beginnen, sie gründen eine Bibliothek.” sagt Godard in seinem Film ”Notre Musique” und damit habe ich erst einmal ein Zitat, dass mir eine Annäherung bietet. Vielleicht ein Übersetzungszentrum? Wichige Bücher, die sich mit den Beweggründen des Faschismus und seiner Durchsetzung beschäftigen, sind nicht auf Lettisch zugänglich. Also Übersetzungen von Klaus Theweleits „Männerphantasien”, ... Adorno hat noch nicht einmal ein Eintrag in der lettischen Wikipedia. Das Raumprogramm einer Bibliothek und das der Synagoge lassen sich nur schwer vereinigen. Was sind also die Gründe, eine Bücherei dort hineinzusetzen, wo es keine Nebenräume gibt, ein großer, hoher Saal, der schwer zu heizen ist und die Beleuchtung zum Lesen nicht ausreicht. Die Luftfeuchtigkeit des Gebäudes läßt Bücher schneller als gewöhnlich altern. Die Einrichtung einer Bibliothek in dieses Gebäude wird gar teuerer als ein Neubau. Bei meiner Recherche fiel mir auf, daß die ungefähre Anzahl der Bücher einer Kleinstadtbibliothek Kuldiga der Anzahl Bücher entspricht, für die Micha Ullman in Berlin seine Regale bauen lies, deren Anzahl derjenigen entspricht, die von den Nazis auf dem Platz des Denkmals verbrannt wurden: 20.000 Er baute unter dem Platz einen Kubus von 5x5x5 Metern, der von einer bündig in den Fußboden gesetzten, begehbaren Glasplatte nach oben abgeschlossen wird. Diese Anzahl entspricht - um sich die Größe der Bibliothek vorzustellen - der Bücherei des Hansaviertels in Berlin. Nur, daß dort 5000 Menschen wohnen, das Einzugsgebiet ist jedoch größer und das Viertel ein Vorführviertel. Hier sehen wir sie. Werner Düttmann baute die Bibliothek 1957. „Ullman gräbt, aber begräbt oder pflanzt nichts. Die Handlung des Grabens deckt auf. Gruben sind wie Narben, die die Unmöglichkeit einer Heilung symbolisieren und der Erde den Stempel ihrer fehlenden inneren Identität aufdrücken. Es gibt kein Gespräch mit jenen, die im Grab ruhen, nur den Verweis auf unbekannte, namenlose Gräber. Die Regale der Bibliothek bleiben leer, obwohl man die Autoren der verbrannten Bücher kennt. Dadurch erreicht Ullman eine Verallgemeinerung über das konkrete Ereignis hinaus. Der versiegelte Raum wird zu einem Leerraum, der Schmerz, Furcht, Zweifel, Erinnerung, aber auch Licht und die Potentialität des Worts birgt.” (16) Ausmaße vorstellen können: Micha Ullmans Bibliothek? Ihre Stärke liegt im Gefühl, daß man über einem Abgrund steht, die Kälte des Neonlichts und die Sterilität ihres Auf-/Ausgeräumtseins. Eine andere Arbeit von Ullman kann als Umkehrung gedacht werden: „Niemand” gegenü,ber des Jüdischen Museums in Berlin aus dem Jahre 1989/90. Es ist ein nach oben offener Kubus, der mit Sand ausgefüllt ist, doch ist er nicht einsehbar. In den Seitenwänden befinden sich Aussparungen, wie Nischen geformt, die dem Kubus etwas von Zimmern gibt. Auch hier sind wir ausgeschlossen, doch das Innere hier ist verfüllt, der Raum umgestülpt wie ein umgekehrter Handschuh. In seinem Filmessay zur französischen Nationalbibliothek denkt Alain Resnais laut: Die Wörter sind dort eingesperrt, es gibt nur ein rein, kein raus. Birgt so ein Ort alle Geheimnisse? Sind Bücher die wahren Zeugen einer Zivilisation? Hier kündigt sich eine Zeit an, wo alle Rätsel gelöst sein werden, das Universum uns seine Schlüssel aushändigt. Hier sitzen sie an ihrem Stückchen universellem Gedächtnis, um Stückchen für Stückchen die Fragmente ein und desselben Geheimnisses zusammenzusetzen, das vielleicht einen sehr guten Namen hat, der da heißt: Glück. Erläuterung erklärung aufklärung erhellung des nicht gelösten rätsels Fahrenheit 451 wenn alle bücher weg,die menschen selber zu büchern werden, zum gehemnisvllen bild eines glücks, dessen geheimnis das gedächtnis aller ist, das universelle gedächtnis ist. Doch ambivalent: es ist verlangen und schrecken, Glücksverheißung und grauen. Rémo Forlani „Wenn man nicht vergißt, kann man weder leben noch handeln. Das Vergessene muß Konstruktion sein. Es ist notwendig, auf dem individuellen Plan wie auf dem des kollektiven. Das, was man immer machen muß, ist handeln. Die Verzweiflung, das ist das Nichthandeln, das Zusammenfalten in sich. Die Gefahr ist sich zu stoppen. Bücher was sind sie, wenn sie nicht gelesen werden? Was sind sie, wenn sie nicht von ihnen gelesen werden können? Can we bear a library in a haunted house? (1) „Nach-Bilder des Holocaust in der zeitgenössischen Kunst” von James E. Young, in: „After Images - Kunst als soziales Gedächtnis”, herausgegeben vom Neuen Museum Weserburg Bremen, 2004 2) The final insult - das diktat gegen die überlebenden. Gruppe offene rechnungen (Hg.) unrast (3) „Erziehung zur Mündigkeit” von Theodor W. Adorno, Frankfurt am Main 1971, S.14 (4)„Tote Zonen- Die deutsche Wehrmacht an der Ostfront” von Hannes Heer. Hamburger Edition des Hamburger Instituts für Sozialforschung, 1999 (5) (Rudy Kennedy:) Der Todesmarsch ging nach Gleiwitz. Wir mußten uns dorthin schleppen und wurden dann auf einen Zug verladen und ich und andere wurden nach „Dora” gebracht. Als ich später die Straße nach Gleiwitz entlang fuhr, wunderte ich mich, denn ich erinnerte mich nur an einen Tag Fußmarsch, mit dem Auto dauerte es aber Stunden. Das konnte man niemals an einem Tag zu Fuß schaffen. Ich bekam erst raus, was da wirklich passiert war, als ich auf einem Treffen mit anderen überlebenden Sklavenarbeitern der I.G.Farben (...) Hans Frankenthal traf. Hans Frankenthal erzählte, daß wir mehr als einen Tag gehen mußten. Dazwischen übernachteten wir in einer Scheune und es war sehr kalt. Viele Tote lagen um uns herum und wir legten uns unter sie, um nicht zu erfrieren. Bis heute ist das aus meiner Erinnerung ausgelöscht. Ich kann es nicht sehen, ich kann es nicht erinnern. Mein Gehirn hat es einfach rausgeschmissen. Aber all das ist passiert. Es war so traumatisch, daß mein Gedächtnis es ausgelöscht hat.” S.79 f. in: The Final Insult (6) „Im Namen der Geschichte: Sammeln - Speichern - Er/Zählen: Infrastrukturelle Konfigurationen des deutschen Gedächtnisses” von Wolfgang Ernst. Wilhelm Fink Verlag, München 2003 (7) „Architourism: Authentic, Escapist, Exotic, Spectacular” , herausgegeben von Joan Ockman und Salomon Frausto, Prestel-Verlag, München, Berlin, London, New York, 2005 p.65 (8) Ungenauer doch näher am Sprachgebrauch bei Adorno: „Mit Aufarbeitung der Vergangenheit ist in jenem Sprachgebrauch nicht gemeint, daß man das Vergangene im Ernst verarbeite, seinen Bann breche durch helles Bewußtsein. Sondern man will einen Schlußstrich darunter ziehen und womöglich es selbst aus der Erinnerung wegwischen. Der Gestus, es solle alles vergessen und vergeben sein, der demjenigen anstünde, dem Unrecht widerfuhr, wird von den Parteigängern derer praktiziert, die es begingen.” Theodor Adorno : Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit (9) „Gedenken und Identität- Der deutsche Erinnerungsdiskurs” von Dariuš Zifonum. Campus Frankfurt am Main, New York 2004 Fritz Bauer Institut. (10) Lethe, der Name des Flusses bedeutet wörtlich „Vergesslichkeit” oder „Verborgenheit”. Das griechische Wort für „Wahrheit” ist a-lethe-ia, was „Unvergesslichkeit” oder „Unverborgenheit” bedeutet: Man glaubte, dass derjenige, der Wasser aus dem Lethe trinkt seine Erinnerungen vergißt. Einige glaubten darüber hinaus, dass die Seelen aus dem Fluss trinken mußten, bevor sie wiedergeboren wurden, so dass sie sich an ihre vorherigen Leben nicht erinnern hätten können. (11) aus ”Kunst als soziales Gedächtnis” von Harald Welzer, in: „After Images - Kunst als soziales Gedächtnis”, Neuen Museum Weserburg Bremen, 2004 (12) Initiator des Projekts ist der Künstler Gunter Demnig. www.stolpersteine.com (13) der ganze Artikel (14)Damnatio memoriae (lat. „Verdammung des Andenkens an ...”) bedeutet die völlige Auslöschung des Andenkens an eine Person durch die Nachwelt. Es handelt sich bei diesem Begriff aber um keinen antiken, sondern um eine moderne Neuschöpfung. Die Namen besonders verachteter und verhasster Personen wurden aus sämtlichen Annalen getilgt, sämtliche erreichbaren Bildnisse und Inschriften wurden zerstört, und in der Zukunft wurde es tunlichst vermieden, den Verurteilten betreffende Details auch nur zu streifen. Diese Maßnahmen sollten zu einem weitgehenden Vergessen des Betreffenden führen. (15) Mit dem Video„The Game of Tag” (Fangen) von Artur Żmijewski (1999, Courtesy of Artur Żmijewski und Peter Kilchmann Galerie, Zürich), welches gerade auf der Documenta gezeigt wird, und welches nackte Menschen beim kindlich-frohen Fangspiel in einem kahlen Raum zeigt, der sich als Gaskammer in Auschwitz entpuppt, beharrt der Künstler auf den Wunsch nach einer erträglichen Version. Bilder anschauen (16) S. 95 Micha Ullman - Bibliothek. Hersg. Friedrich Meschede. Amsterdam, Dresden: Verlag der Kunst, 1999. (17) Am Judenplatz Wien steht seit 2000 das Mahnmal für die österreichischen jüdischen Opfer der Shoa der englischen Künstlerin Rachel Whiteread. Es besteht aus einem Kubus mit nach innen gewendeten, versteinerten Büchern. Auf Bodenplatten sind die Namen jener Orte festgehalten, an denen österreichische Juden während der NS-Herrschaft zu Tode kamen. Für die Errichtung des Holocaust Mahnmals wurden von Juli 1995 bis November 1998 Ausgrabungen durchgeführt. Diese gelten als die bedeutendsten Stadtkernuntersuchungen in Wien. |