>>> Der Vortrag im lettischen Original.
Bis 1939 gab es in Kuldīga zirka 7000 Einwohner, inklusive der Deutschen, die in jenem Jahr ausreisten. Es gab ungefähr 900-1000 Juden laut inoffizieller Statistik. Die Juden hatten ihre eigene Synagoge, Schule, Geschäfte, Werkstätten, und Orte, wo man Pferde kaufen und verkaufen konnte. In Kuldīga wohnten auch der beliebte Arzt Gorigovski und die Zahnärztin Linde. Das Leben verlief ganz normal. Der Leiter der Furnierfabrik (Vulkans) war für eine gewisse Zeit ein Jude namens Hirschmann.
Ich habe damals in der Smilšu Straße 1 gewohnt, der Besitzer dieses Hauses war der Pferdehändler L. Gotschalk. Wir Letten bewohnten das erste Stockwerk, aber im Erdgeschoss wohnten Gotschalk selbst mit seiner Familie - mit drei Söhnen und einer Tochter, wie auch eine deutsche Familie Reinhold - Mutter mit zwei Töchtern.
In meinen 13. Lebensjahren, so alt war ich damals, hatte ich niemals irgendwelche Misshelligkeiten unter den Bewohnern des Hauses erlebt. 1939 ist die deutsche Familie nach Deutschland umgezogen - wir haben uns freundlich verabschiedet, haben einander viel Glück und Erfolg im weiteren Leben gewünscht.
Aber die Zeit hat uns einen ganz anderen Sinn und und ein ganz anderes Verständnis gebracht. 1940 ist die sowjetische Armee gekommen. Die Regierung von Ulmanis ist gestürzt worden, die großen Veränderungen haben angefangen, die mit einem großen Verbrechen - der Deportation von 1941, geendet hat.
Die Veränderungen haben den großen Kleidungshändler Feitelberg und den Händler Biržansku berührt. Am Anfang des Zweiten Weltkriegs sind der Händler Lipman und der Frisör Brunner in die Sowjetunion gefahren.
Vielleicht noch jemand, aber in meinem Alter damals kannte ich keinen mehr und erinnere mich daran nicht mehr.
Der Schrecklichste fing damals an, als die deutschen Truppen in Kuldīga angekommen sind. Den Juden war es bekannt, dass die Deutschen gegen Juden Genozid gemacht haben, deshalb herrschte unter den Juden sehr große Aufregung. Es gab schon in der Stadt Plakate mit der Aufschrift: „Juden, steht nicht in der Reihe, ihr bekommt das Brot nur dann, wenn es übrig bleibt.”
Ich habe selbst gesehen, dass einmal eine lettische Frau eine behinderte jüdische Frau aus der Reihe herausgestoßen hat. Da ich im Judenbezirk gewohnt habe, waren viele meiner Freunde und Bekannten Juden. Die haben mir Geld gegeben, aber ich und meine Schwester haben für sie Brot gekauft.
Anfang des Krieges ist meine Familie aufs Land zu meiner Großmutter umgezogen. Aber als die Deutschen in Kuldīga angekommen sind, sind wir zurück gekommen. Wir waren sehr überrascht, als wir vor dem Krankenhaus auf der Kalpaka-Straße den Kaufmann Gabe, den Pferdehändler Goldinger und noch andere, die ich nicht erkennen konnte, weil sie von den bewaffneten Männern bewachtet wurden, sahen. Sie hatten Anzüge und Krawatten an und sie sollten die Straßen fegen. überall gab es Staubwolken. Als wir nach Hause gekommen sind, war die Familie unseres Hausbesitzers in großer Aufregung.
Nach einigen Wochen bekamen die Judenfamilien den Befehl, dass sie aufs Land umziehen müssen, um landwirtschaftliche Arbeiten zu machen. Alle Juden wurden aufs Land gefahren, die Wohnungen geschlossen, die Schlüssel einigen Personen, die die Umzug organisiert haben, abgegeben.
Nach ein paar Wochen wurden alle Juden zurück gefahren und in der Synagoge untergebracht. Vor allen Türen standen lettische Wachposten, die Bänder mit der lettischen Fahne an den Händen hatten. Es gab eine düstere und grauenhafte Aussicht. Überall gab es Chaos, Angst und Unwissenheit.
Nach einigen Tagen fing der schmerzvolle und quälende Weg des jüdischen Volkes an. Das Gemetzel der Juden fing an. Weil ich im Zentrum der Stadt gegenüber der Synagoge gewohnt habe, habe ich alles ganz genau gesehen .Zuerst wurden die Juden zum Erschießen nur nachts gefahren, aber später wurden sie den ganzen Tag und die ganze Nacht gefahren . Zum ehemaligen jüdischen Invalidenhaus ist „die schwarze Berta” ( der Leichenwagen ) gefahren, alle unglücklichen - Kinder, Frauen, Männer, alte Leute - so etwa 20-30 zusammen, wurden durch die hintere Tür des Wagens geschoben. Das dauerte so lange, bis alle Juden erschossen waren. Es gab etwas Grausiges an den letzten Tagen des Erschießens. Als letzte zum Erschießen sind Invalide und Rentner gebracht worden. Die lettischen Schüler, deren Eltern und Verwandte unter dem roten Terror gelitten haben, sollten die Juden erschießen. Um Mut zu haben, haben die Schüler sich betrunken. Am nächsten Morgen gab es etwas Schreckliches zu sehen. Als die Bauern am Morgen nach Kuldīga gefahren sind, haben sie an der Grube erschossene und verwundete Juden gesehen. Die Gruben waren nicht zu.
Um die Mittagszeit sind an diesem Tag zu uns mit Schwierigkeiten, ganz blutig die Kauffrau Gitelson und die Einwohnerin des Invalidenhauses Fanija gekommen. Frau Gitelson hatte eine Kugel im Hals, aber Fanija hatte eine Schulterverletzung. Meine Mutter hat beiden geholfen, was sie konnte, aber ohne Hilfe des Arztes konnten beide nicht weiter leben. Die Mutter hat beide Frauen zum Krankenhaus geschickt. Wir haben auf sie lange gewartet, ob sie zurück kommen, aber das passierte nicht. Bald gab es auf den Straßen vor der Einfahrt in die Stadt ein Schild „Judenfrei”.
Als die schreckliche Aktion zu Ende war, fing die zweite an - die Auktion des Besitzes der Juden. Auf dem Hof der Synagoge wurden Möbel, Kleidung, Schuhe, Haushaltsgegenstände aus den Häusern der erschossenen Juden verkauft. Am meisten haben diese Sachen Bauern gekauft. Mit dem Ende der Auktion endete auch die zweite Periode des Schreckens.
Heinrihs Freimanis. Freimanis war Sportlehrer an der Berufsschule in Kuldīga. Er ist Jahrgang 1928. Auf dem Symposium redete er als bis jetzt erster und einziger Zeitzeuge der Shoah in Kuldīga über die Geschehnisse.
Übersetzung: Renate Ribena. Sie ist Lehrerin an der Centra vidusskola in Kuldīga. Vielen Dank dafür.
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