EURE SICHT IST GEFRAGT
schreibt mit . . schreibt anders


Einladung an Aktivisten diesen Text weiter zu schreiben, zu antworten, zu widerlegen und vor allem Erfahrungen und Überlegungen mitzuteilen.

TEXT als DOCX hier Fassung 11.11.


CLEARING SEASON

Methode

Der Versuch journalistisch oder essayistisch zu schreiben wurde zunehmend unbefriedigend und führte zu der Idee eines Dialogs: Ich bitte Euch, den Text zu kommentieren, ergänzen und in Anmerkungen zu korrigieren. Eure Beiträge verwandeln den Text in Dialog. Ich würde mich freuen, wenn Du ihn, egal ob Du selber etwas hinzufügst, weiterleiten würdest, so dass nachher vielleicht zwei oder drei Partner:innen dabei sind.


Lützerath Text Fragmente

Methode

Zunächst hatte ich vor, einen Text über Lützerath zu schreiben. Dies ist ein Text über Lützerath. Aber ich stellte fest, ich möchte ein anderes Rollenverhältnis zwischen den Menschen in Lützerath und mir. Obwohl offensichtlich von außen kommend, schreibe ich den Text nachvollziehbar von innen. Damit ist nicht die Beschreibung meiner Subjektivität in der Begegnung mit Aktivisten gemeint, sondern meine Kontexte rückhaltlos transparent zu machen. Und zwar nicht als Rahmenhandlung oder journalistischen Kunstgriff, sondern um das Von-einer-unbekannten-weißen-Person-Angeblicktwerden für die Menschen in Lützerath in Augenhöhe zu wenden. Wahrscheinlich beruht das emotionale Kalkül auf Gegenseitigkeit: Aus einer notgedrungen eher über Äußerlichkeiten definierten Figur mache ich mich meinem Gegenüber als Mensch mit Kontexten lesbar.

Das ist der erste, eher literarische Schritt der Rollenänderung, der zweite ist der Dialog.

Kohle

Im Vorfeld (Juni 22)
Es geht darum, dass die Kohle aus dem Boden nicht verfeuert wird und wir uns nicht mehr als Konsumenten und Stimmvieh dazu missbrauchen lassen, zu legitimieren, dass die "Bedarfe" auf dem derzeitigen hohen kapitalismustauglichen Niveau eingefroren werden. Und es geht darum an dieser Abbruchkante eine Gesellschaft im Labor zu erproben, zu üben und zu lernen. Die Idee ist gut: Wenn wir die Klimakatastrophe verlangsamen wollen, die Erde wieder etwas mehr in Ruhe lassen wollen, müssen wir Zusammenleben in Respekt, Vergnügen, Konfliktelösen lernen, und wir müssen neue Tabus implementieren.

Bedeutung Lützerath

Was ist wichtig an Lützerath?
Dass nicht nur 2030 die Verfeuerung von Braunkohle beendet wird, sondern auch die Fördermenge auf ein Maß reduziert wird, dass Deutschland bei dem erwarteten Energiemix eine reale Chance hat, die Vorgaben zur Einhaltung der 1,5° Grenze einzuhalten. Dabei geht es um eine Differenz von 160 Mio Tonnen verfeuerter Braunkohle im Gegensatz zur RWE Absicht mit 230 Mio Tonnen.
Um 70 Mio Tonnen zu erreichen, kann die Kohle unter Lützerath liegen bleiben. Kommt es zu 280 Mio Tonnen, muss Lützerath weg.
Deshalb ist Lützerath viel mehr als 100 Neueinwohner mit Baumhäusern und basisdemokratischen Strukturen.

Basales

29.9. -1.10.
LAB Lützerath
In Lützerath gibt es seit zwei Jahren die 24/7 besetzte Mahnwache und das Dorf/Camp ZAD_Rheinland. Neben dem ersten Ziel, der Braunkohleförderung Einhalt zu gebieten um die Klimakatastrophe zu verlangsamen, ist ZAD_Rheinland ein Labor des Zusammenlebens und Zusammenlernens.

Gendern von außen

Meist begegne ich den Awareness-Strukturen der jüngeren Leute eher vermittelt, also von außen. In den Medien wird erbittert über Gendern gestritten, und hier dämmerte mir, dass den meisten die Basis dafür fehlt, obwohl ja eigentlich jeder irgendwie was mit Gender zu tun hat und von daher selbst Expert:in ist.

& innen

Es geht um die Frage: Wie können wir konkret in der Praxis gewaltfrei, kollektiv und empathisch zusammenleben und unsere Konflikte lösen? Damit sind die meisten Menschen hierzulande, inklusive der im ZAD_Rheinland Beteiligten eher Anfänger.

Genderselbstbestimmung

Zunächst fallen das gesamtgesellschaftlich diskutierte Handwerkszeug der Genderselbstbestimmung und ihrer allgemeinen Anerkennung, die Schaffung von Schutzräumen für gesellschaftlich marginalisierte Gruppen und eine grundlegend hohe Sensibilität gegenüber neu vorgetragenen Empfindungen von mangelndem merkmalsbezogenen Respekt ins Auge.

Systemwechsel Labs Realien

Es scheint überall sind Labs. Überall, auch in der Kunst, probt man etwas, an das man nicht herankommt. An die Entmachtung von Elon Musk und den tech- und sonstigen Oligarchen dieser Welt. Und ihre würdevoll-modernen Vorläufer: der Großkonzerne, die teilweise noch mit Realien umgehen (zu denen auch die RWE gehört).
In der Kunst, fragt man sich leider immer, was die nächste Welle sein wird.
Labs sind Funktionsmodelle. Und Modelle sind Möglichkeiten das Große klein zu denken (oder umgekehrt) und die Randbedingungen teilweise zu kontrollieren.

Reise

25.9.
Vor der ersten Reise nach Lützerath / ZADRheinland, in das Dorf/Camp an der Garzweiler_Tagebaugrube war ich in Rotterdam bei einer Konferenz zum Schiffeabwracken und danach einen Tag am Strand.

Background Sibylle Orga & Zuviel

In Rotterdam schloss ich wieder an drei Jahre meines Lebens (2018-2021) an, die ich zum größeren Teil mit dem Coaching der Selbstorganisation Bengalischer Arbeiter in der Schiffsabwrackindustrie verbracht hatte. Auslaugende Jahre mit viel Begeisterung, Zeit- und Geldinvestition, gescheitertem Coop-Laden und gescheiterter Landwirtschaft, wir haben wirklich alles versucht, und auf einiges können die Arbeiter sich heute verlassen, sie haben ihre eigene offizielle Organisation erstritten und ein kompetentes Netzwerk erschlossen, aber die Idee der wirtschaftlichen Unabhängigkeit der Organisation ist gescheitert. Das war eine Zeit der Selbstreflexion und des Umdenkens in wichtigen Punkten und schmerzhaften Lernens bei dauerhaftem menschlichen Vertrauen. Eine Zeit in der ich wegen der Risiken für die Arbeiter als Künstlerin in der Falle saß. Es türmte sich ein riesiger Schatz oder vielleicht ein monströser Berg an Erfahrungen hinter und vor mir auf, in Notizen, tausenden Seiten gespeicherten Chat-Protokollen, Fotos, langsam veraltenden Recherchen, die ich abgesehen von der immerhin mit der Zeit abnehmenden Gefährung der Arbeiter durch Veröffentlichung nicht strukturiert kriege.1 2

Rotterdam-Bombardement-Wehrmacht

Die Konferenz fand ironischerweise in der Kunsthalle statt (die eine neben der Anmietung separat angefragte inhaltliche Kooperation mit der Arbeiterfotografie abgelehnt hatte ohne sich die Mühe zu machen, diese Entscheidung zu begründen), und ich radelte verschiedendlich durch die wiederaufgebaute Stadt. Die kahlen Flächen, die ein verheerender deutscher Luftangriff verursacht hatte, sind spürbar. Der Luftangriff war wegen der Kapitulationsverhandlungen der Niederlande zurückgenommen worden: ‚Nur die zweite Staffel des anfliegenden Kampfgeschwaders 54 konnte durch einen Gegenbefehl zurückbeordert werden. 57 Bomber der im Anflug auf Rotterdam befindlichen ersten Staffel führten den Angriff aus. Über 90 Tonnen Bomben zerstörten die Altstadt, in der über 800 Zivilisten ums Leben kamen, nahezu vollständig.‘3
Augenscheinlich ist die aktuelle Bebauung in Rotterdam wie in Berlin im wesentlichen von Investoren getragen, jedoch scheint man hier begriffen zu haben, dass vielgestaltige, teils experimentell anmutende Projekte auf lange Sicht ein besseres Geschäftsmodell darstellen als die auf Gleichschritt gebürsteten Folgen der öden Berliner Bebauungspläne.

worm

Am zweiten Nachmittag, nach der Konferenz, suchte ich ‚worm‘ auf, das Kulturzentrum, das meine Anfrage eine parallele kurze Arbeiterfotografie-Aktion zu organisieren, ebenfalls negativ beschieden hatte, diesmal mit Begründung. Dort traf ich zufällig mit einer Gruppe philipinischer Protestierender einen älteren Mann in rotem Samtkleid und Zylinder mit einem Tonaufnahmegerät. Da ich die Lieder der Gruppe gefilmt hatte und mich wohl als einzige Außenstehende interessiert zeigte, fragte er, wer ich sei. Er zeigte mir die Radiostudios, die Büros und das ganze Haus. Überall recycelte Materialien.

Radio

Hängeschränke aus rustikalen Einbauküchen als Ablagen über den großen Arbeitstischen, solides Laminat mit Fliesenmuster aus einem Hotel bildet Boden und Wandverkleidung. In das Radio hatte ich schon mal reingehört, eine interessante Welt. Ob ich zum Schiffeabwracken eine Sendung machen wolle? Lützerath?
Nach zwei Stunden Zuhören und Austausch – das Wetter war immer noch wie am 14. Mai 1940 – trennten wir uns nach verschiedenen Anläufen, er – augenscheinlich als Urgestein der queeren Bewegung in Rotterdam – zu einem Hearing zu einem queeren Thema im Rathaus; und ich? An den Strand von Scheveningen!

Strand

Der fast wie ein mit der Straßenbahn erreichbarer Vorort des noblen Vororts Den Haag wirkte. Das billigste Hotel am Platz führen Asiaten. Das Campinggepäck für Lützerath vom verschwitzten Rücken und die Filmausrüstung aus der Lenkertasche aufs Bett geschmissen und die Füße in den Sand. Nach drei Jahren oder vier Jahren oder fünf? wieder Meer! Die ungeheure Milde des schrägen rosafarbenen Lichts und der Luft, die die wartenden Frachter und Windräder weit draußen im flachen Wasser in zarte Zeichnungen verwandeln. Was bedeutet das Blinde Medium Radio? Am weiten verschandelten Strand treffen sich alle möglichen Menschen, die jedenfalls eines verbindet: Der Genuss an der verzaubernden Anwesenheit an diesem Ort. Als ich meine Socken wieder anziehe, rede ich mit einem Vater neben seinem Sohn, untereinander sprechen sie arabisch und er arbeitet in Zwolle, zwei Stunden von hier. Der Sohn weiß wo die ebenfalls in Rosa getauchten Flugzeuge über uns herkommen und wo sie hinfliegen. Ich frage, ob es besser ist das zu wissen oder das nicht zu wissen? Was für eine Frage. Aber die beiden sind sehr höflich. Dann drücke ich mich noch lange auf dem halb geschlossenen zweigeschossigen Pier aus Beton herum der staksig über der Ebbe ins Wasser hinaus schwebt und irgendwie niemanden mehr so richtig glücklich zu machen scheint. Außer vielleicht im Sommer die Gastronomen mit ihren teuren Pommes.

Zerstörung Einzäunen der Reste
Konsumismus
Was schief läuft //Ebenen

Wenn massenhafte und ausladende Strandarchitektur die leichten Holzkonstruktionen abgelöst hat und mit penetranten Lautsprechern versehen ist, tendiert sie überall zu monströser Billigkeit. Wenn eine Autobahn die feindliche Übernahme der Landschaft markiert, mag das noch vielerlei Zwecke haben, von denen Regierungen entschieden, dass sie wichtiger sind als die Erhaltung von Natur. Hier aber zerstört man den Kern, den Grund aus dem die Menschen hierher kommen. Man bulldozert fast alles nieder, um den Rest zu verschließen. In den letzten Resten naturhafter geschützter Landschaft herumzulaufen ist verboten. Das passiert überall. Nirgendwo auf der Welt wird es anders gehandhabt. Wen wunderts, das hat mit Kapitalismus zu tun. Die Menschen und die Möwen und ein paar Krabben werden die Tiere dieses Zoos zwischen Pier, Promenade, Rampen, peinlichen Großskulpturen, Casino, Palisaden aus seeseitig verglasten Ferienwohnungen und mehreren vorgelagerten Reihen Strandbars. Menschen sind in dem Setup sowohl Wärter als auch Insassen. Die implizite Behauptung von Freiwilligkeit irritiert, weil alle am Tropf hängen. Wenn man dies hier anschaut, kennt man auch die Klimakatastrophe. Wenn ich hier wegfahre lande ich bei derselben Konstellation an anderem Ort, nicht nur in den Hinterhöfen des Kapitalismus an der Kante der Grube Garzweiler oder unter den Kadavern der Öltanker in Bangladesch, sondern praktisch flächendeckend überall. Und obwohl ich das alles im Kopf habe, ist der Genuss des Sandes, der Wärme des klimabedingt interpretierten verspäteten Spätsommers, der Wasserfläche vor mir und des Lichts exorbitant, wie eine unzerstörbare Zartheit. ‚Unräumbar‘. Solange ich nichts davon als selbstverständlich nehme, kann ich genießen. Meine Freiheit ist auf der Komplexität zu beharren und das ganze nicht als selbstverständlich hinzunehmen.

Anstrengung Fahrrad

Von Mönchengladbach mit zwei großen Taschen am Lenker des Faltrades und einem hochaufgeschichteten Rucksack beuge ich mich so nach vorne, dass der Schwerpunkt zur Sattelstange führt. Gegenwind. Und gemeine Berge! Google leitet durch das Sperrgebiet, während der Wachschutz mir einen Umweg diktiert. Die kleinen Räder im Schotter. Keyenberg wirkt annähernd normal, ausgestorben wie ein deutsches Dorf mit dauerhaft geschlossenem Fleischer. Zum Unräumbar Festival.

Ankunft Lützerath

Es ist interessant, wie die Leute sich organisieren, wie sie versuchen, ein wirklich anderes Zusammenleben zu finden. Es scheint verschiedene Richtungen zu geben. Auch Stereotype aus autonomer Tradition à la „Nur Nazis kooperieren mit Cops“ mischen sich ein.

ZAD_Orga

Das ZAD läuft weitgehend geldfrei. Was finanziert werden muss, kommt über Spenden und freiwillige Beiträge rein.
Aufgaben werden auf freiwilliger Basis verteilt.
Die Organisationsstruktur ist klar und ausdifferenziert. Wann immer ins Plenum eingebracht, wird nachjustiert.
Jeder kann hierher ziehen, kurz oder lang aktiv oder wenig aktiv mitmachen und sofort mitbestimmen.
Ca. 50 Leute wohnen hier dauerhaft, andere kommen und gehen, für Tage, Wochen oder Monate.
Insbesondere (oder ausschließlich?) im Awarenessbereich gibt es klare und strenge Regeln, die wie eine Art Verfassung funktionieren.
Im Gegensatz zu Extinction Rebellion und zur Letzten Generation ist es hier und bei Ende Gelände üblich nicht unter dem im Pass eingetragenen Namen teilzunehmen.
In der ZAD sind etwa ¼ bis 1/3 dauerhaft vermummt.

Funktionieren durch materiellen Input

Wie auch das ebenfalls geldfreie foodsharing-Netzwerk funktioniert das hier als individuelles Engagement in Kombination mit materiellen gesellschaftlichen Überschüssen.

Vergleich BD SWWA

Die Abwrackarbeiter in Bangladesch z.B. hätten ungleich größere Schwierigkeiten, oder gleich gar keine Chance, so eine Struktur dauerhaft aufrecht zu erhalten, weil der finanzielle Input des einzelnen Mitstreiters größer oder gleich des wirtschaftlichen Nutzens sein müsste – bei kaum verfügbarer freier Zeit. So ist der materielle Input von außen für Foodsharing und für ZAD Rheinland sowohl Stärke als auch Schwäche.

BD_Koop Idee
Linke als K-Gruppen-Struktur

Auch wenn die Arbeiter in Bangladesch von dieser (aus meiner Sicht anarchistischen) Organisationsstruktur keine Ahnung hatten, war ihr erster grundlegender und von mir unabhängiger Ansatz unserer Zusammenarbeit, den ich mit intensiver Beratung und finanziell ermöglichte, die zu gründende Arbeiterorganisation durch am Markt funktionierende Einnahmen finanziell autonom zu machen. Diesen Ansatz hatten sie genuin aus ihrer Enttäuschung der weit verbreiteten K-Gruppenstruktur der dortigen Linke einseits, gekauften Gewerkschaften und einer hermetisch hierarchischen NGO Struktur andererseits entwickelt, weil sie seit über einem aktivistischen Jahrzehnt in diesen Strukturen bereits weitgehend untergebuttert worden waren.

Tropf Reflexion
ChancenScheiternErfolge

Jetzt hängt die Arbeiterorganisation am spärlichen Tropf informeller Einnahmen, die kaum Handlungsspielraum bieten, und trocknet weitgehend aus, während ein größerer Teil der verfügbaren Zeit in die weitgehend hilflose Aquise von Geldern fließt. Irgendwann wurden die beiden Hauptakteure einfach vom Scheitern Ihrer Autonomiebestrebungen begraben und verloren dadurch einen großen Teil ihrer geistigen und emotionalen Flexibilität. Was wir am Anfang um 1000% zu schnell erreichen wollten, ist nun schmerzlich verlangsamt in großen Teilen stagniert. Aber allemal besser und die aktuellen kleinen Schritte tief nachhaltig, als wenn ich weiterhin zuschießen oder tiefgreifende Feedbackrunden mit Rechenschaft über die anschließende Umsetzung einfordern würde.
Asien ist etwas anderes als zB Lateinamerika oder südlich der Sahara gelegenes Afrika4.

Orga Catering

In der ZAD habe ich natürlich bei der Essensausgabe geholfen, und rumgefragt: Das Essen während des Festivals kocht eine externe Gruppe, praktisch ein ehrenamtlicher voll ausgestatter Caterer, der bei politischen Camps kocht, die Gruppen schicken dann ein Schnibbel-, Ausgabe- und Spülkteam. Am Unräumbar-Wochenende waren 400-500 Leute beim Abendessen. Die Mitglieder der Kerntruppe der Caterer nehmen sich für solche Einsätze Urlaub, oder machen zwischendurch Schmalspur-Homeoffice.

Orga materiell

Einige regelmäßige Unterstützer bringen z.B. aus der Eifel, wo eine ganze Ortschaft mit der Tofu- und Seitanproduktion beschäftigt ist, in großen Mengen Tofu und Seitan mit. Das sind Chargen, die fürs Gesundheitsamt aufgehoben werden müssen und nach Ablauf des MHD in Massen abgeholt werden können. So gab es an einem Abend Tofugeschnetzeltes und am nächsten Geräuchertes. Auch Oatly kommt auf vergleichbaren Wegen. Ein lokaler Biobauer gibt seine Ernteüberschüsse – unabhängig von der Tafel oder dem Foodsharing Netzwerk. Der Rest über Spende. Ich kratzte bloss an der Oberfläche und war noch damit beschäftigt, mich daran zu gewöhnen, dass ich zB beim Aushelfen bei den Corona-Tests nicht mit einem Er zusammenarbeitete.

Subjektive: Geschlechtertausch

Wenn das locker ist, liegt mir das, weil ich mich nie zu unserem Geschlecht zugehörig fühlte, auch wenn ich männlich aussehende Menschen in Frauenkleidern oder weiblich aussehende in Hosenrollen nie attraktiv fand. Ich glaube die in diesen Kleiderordnungen implizierten Rollen gefielen mir einfach nicht, ich wollte einfach nur die Freiheit von Geschlechterrollen.

Background Heukamp

Das Hütten-/Baumhausdorf/besetzte Dorf liegt nahe an der Baggerkante und war dank eines standhaften Grundeigentümers bis Ende September geduldet. Er, Eckhardt Heukamp, wohnte noch in seinem Hof von 1763 (seit der Säkularisierung des Hofes in napoleonischer Zeit (Mit)eigentum der Familie Heukamp. Am 1.10. lief die Duldung aus.

Kosten Kohleverstromung

Zum Geschäft wird die Kohle heute durch Steuerprivilegien gegenüber Gas und Öl, unentgeltliche oder verbilligte Nutzung endlicher Ressourcen, staatlichen Verzicht auf Förderentgelte und vor allem durch Nicht-Berechnung von Klima- und Umweltfolgekosten. Gegenüber der Verstromung von Erdgas bei der Kohleverstromung fast doppelt soviel CO2 erzeugt. 5

PolizeiEinsatz Politik

Die Stimmung war verunsichert. Trotz verlorener Prozesse von Anwohnern und Besetzern, hat die Landesregierung immerhin noch eine Handhabe darüber, ob und wieviele Polizeieinheiten sie zur Räumung (die die RWE anfordern kann) schickt. Der NRW-Koalitionsvertrag legt fest, dass man nur aktiv wird ( = Räumung), wenn beide Regierungsparteien, die Bundesregierung und die RWE einen Konsens finden.

Renaturierung

Die Renaturierung ist komplex und muss über 80 Jahre kontrolliert werden: Damit das vom Abraum kontaminierte Wasser, mit dem die Gruben langfristig geflutet werden, nicht ins Grundwasser drückt, darf der Spiegel nicht höher sein, als der des Grundwassers. Der inzwischen geschützte Rest des Hambacher Forstes steht nun auf einer austrocknenden Halbinsel am Rande der Grube Hambach mit Betriebsgenehmigung bis 2029.

Privater Background

Im Juni konzipierten Nikolaus Hillebrand und Kyne Uhlig aus Köln ein TheSchwimmer Heft zu Lützerath. Durch die Arbeit daran kam ich der Sache näher. Im September Premiere: Die ersten Protest-Camp-Übernachtungen meines Lebens. Die Sympathisanten schliefen in mitgebrachten Zelten oder prosaisch (wie ich) auf einem ollen Dachboden in der Paula, einem der wenigen übrig gebliebenen seit langem verkauften Häuser/Höfe.

Camp >< MAWA

Das Camp und die Mahnwache sind, obwohl in permanentem Austausch, zwei verschiedene Initiativen, sie unterscheiden sich unter anderem durch unterschiedliche Umgangsformen, der sicherlich mit den verschiedenen generationsbezogenen Sozialisierungen der Aktiven zu tun hat. Die ergraut-relaxt wirkende Mahnwache, mit ihren Kaffeekannen, Teebeuteln und Spendenbox auf dem einen Tisch, und einer großen Menge von Info-Zetteln aus dem ganzen aktivistischen Umfeld von lokalen offenen Türen bis globalen Initiativen und erwerbbaren Druckwerken, T-shirts u.ä. nutzt im Gegensatz zum ZAD eher Zelte und Wohnwagen als DIY.

Sprache Geschichte
Mahnen Wache

Mahnwache
Der Unterschied beginnt schon bei der Benennung „Mahnwache“. Das Wort klingt für mich fast nach den Großeltern (die in meinem Fall jedoch alles andere als aktivistisch waren), einer Generation, die seit den 50er Jahren schon gemahnt hat, mit Käthekollwitz, fortschrittlichen Kirchengemeinden und Ostermärschen. Deren Akteure sich mischten: Die bigotten, die ihre Chance in der Betulichkeit einer weitgehend weiblich besetzten Mittelklasse mit Gewissenbissen in der ‚zweiten Lebenshälfte‘ witterten, und denen die noch voll an das Bewusstsein, also den Einfluss der Erkenntnis glaubten.
Auch der Begriff ‚Wache‘ scheint aus einer vergangenen Welt zu kommen – dem ‚Wachtturm’ einerseits und andererseits einer institutionalisierten öffentliche Ordnung à la ‚Radetzkymarsch‘, ‚Törless‘ etc., die ihre Wachhabenden noch selber auf Lebenszeit anstellte und nicht zu Sicherheitsdiensten outsourcte, deren Mitarbeiter als Mindestlohnarbeiter in prekären Verhältnissen existieren.
Rein vom Begriff her scheint ‚Mahnwache‘ für eine Strategie der Gewaltlosigkeit diesseits von Ghandi und vor Marshall Rosenbergs GFK (Gewaltfreie Kommunikation) zu stehen.

Die Leute, die sich an den Bierbänken unter dem Partyzelt vor der Mahnwache niederlassen, sind Sympathisanten, Unterstützer und Aktive aus anderen Bereichen und gut ausgestattete Besucher mit Fahrrad und kostenintensiver Funktionskleidung, liebe „Laberköppe“, mit teilweise etwas aufgedunsenen ungekämmten geröteten Gesichtern in second_hand Kleidung, Kinderwägen, Kinder überhaupt, und wer auch immer als Sympathisant nach Lützerath fährt. Das entspannte Sammelsurium von Menschen darf sich hier ausruhen, rumreden, schweigen oder mit ‚den seinen‘ das Picknick auspacken, und ich rieche eher etwas von dem Stallgeruch meiner Generation, ob ich mich an ihm nun beteilige oder nicht.

Dass eine bis dato zweijährige 365/24/7 - Besetzung der Mahnwache eine selten durchgehaltene organisatorische Kraftanstrengung bedeutet, bleibt im Hintergrund der Bescheidenheit dieser „stillen Helden“, wird jedoch wahrgenommen: Derzeit ist die Mahnwache eines von fünf für den Taz-Panter Preis nominierten Projekte.

Strukturen sedimentieren

Stallgeruch ist schon ok, denn er entsteht da, wo Strukturen sedimentieren. Er ist Heimat, und er verbindet mit der Geschichte. Man kann das Fenster aufmachen und ihn vertreiben, bis zum nächsten Mal.

Zone à Developement

Der Begriff ZAD, Zone à Developement, wurde aus Frankreich übernommen, eine Bewegung, die Developement nicht als Investitionen in Immobilien begreift, sondern sich den privatwirtschaftlich gekaperten Begriff zurückholt. Dabei legt sie die Überheblichkeit der Sprache der Investoren nonchalant bloß, und erprobt die nachhaltige, holistische Entwicklung einer modellhaft verstandenen „Zone“, die sich, wenn es gut läuft weit und weiter verbreiten kann.

Entwicklungsbegriff

Was meinen ‚wir‘ mit Entwicklung? Es ist die Wiederaneignung des Entwicklungsbegriffs, den die Immobilienbranche im Windschatten der Stadtentwicklung Jahre zuvor sang- und klanglos für sich gekapert hatte, um das Pferd der ‚Entwicklung‘, das sich irgendwie vage nach Gemeinwohl anhört oder doch zumindest eine gültige Verbesserung zu implizieren vorgibt, vor seine Interessen zu spannen.

Querdenken

Unter ganz anderen Voraussetzungen ist auch ein weiterer Begriff – trotz seiner Unersetzbarkeit – der Allgemeinheit durch Vereinnahmung entzogen worden: Das Querdenken. Kampflos ist er von den Medien an die bekannte Klientel übergeben worden. Und nun gibt es für diese wichtige geistige Tätigkeit keinen Begriff mehr. Geht irgendwer davon aus, dass wir den gar nicht mehr brauchen?

April April… So doppelbödig wie ich zunächst dachte, ist es nicht, denn mit ZAD ist sowohl in der französischen als auch in der deutschen Bewegung selbst erklärend ‘Zone à defendre’ gemeint.

Formale Orga

Organisationsstruktur
Die Organisationsstruktur ist anarchistisch.
Das bedeutet:
Struktur formt sich durch Praxis und Erfahrung und wird laufend nachjustiert statt wie in der parlamentrischen Demokratie (inklusive Vereinsrecht) von einer formellen Struktur auszugehen, die nur im Notfall geändert wird.

Es gibt eine Art Codex oder Verfassung, die unveräußerliche gemeinsame Prinzipien festschreibt.

Prinzipiell ist innerhalb der Grundsätze alles erlaubt. Jemensch darf alles machen, wenn abgeklärt ist, dass Mensch nicht den Freiraum anderer beeinträchtigt (wahrscheinlich ist das nicht separat zu nennen, weil aus den Grundsätzen hervorgehend).

Entscheidungsstrukturen

Auf der unteren Ebene arbeitet und entscheidet mensch in Wohngruppen, AGs und Plena der einzelnen Barrios, (Viertel, borrough) von denen es etwa 6-8 gibt. Hüte: Jede Woche werden für verschiedene Aufgabenbereiche Hüte verteilt:
Menschen, die dafür verantwortlich sind, ein Team für die Erledigung von Repro & Care Gemeinschaftsaufgaben zu finden.
Zwei mal in der Woche findet das für jede anwesende Person offene Dorfplenum nach einem bestimmten Prozedere statt, dabei ist mensch bemüht unter zwei Stunden fertig zu werden.
Längerfristige und strategische Themen werden in einer seltener stattfindenden Vollversammlung besprochen. (Turnus?/nach Bedarf?)

In der Entscheidungsfindung gilt das Konsensprinzip. Abstimmungen werden nicht ausgezählt. Sie finden finden nicht statt um Mehrheiten auszuzählen, sondern um die Orientierung der Gruppe zu eruieren.

Abstimmungspraxis: Langsam oder schnell in der Achse des Unterarms gedrehte Hände, nach oben oder unten zeigend, je schneller die Bewegung desto emotional heftiger sind Zustimmung oder Ablehnung. Die Höhe zeigt Nuancen zwischen vollständiger Zustimmung und vollständiger Ablehnung an.
Wer eine Angelegenheit zu schlecht ausdiskutiert sieht, kann das Thema im letzten Abschnitt des Plenums aufgreifen und/oder mit einer AG eine Ausarbeitung vornehmen und es nochmals vorlegen.

Kein Delegiertenprinzip. Ob und wie Sprecher der AGs zB. ins Plenum entsendet werden ist offen. Das kann jedes Mitglied machen.
Dasselbe gilt für die Vertretung nach außen.

Lützerath ist intern geldfrei. Nach Gutdünken bringt man privates Geld ein. Weitere Mittel zum Zusammenleben und für die Aktionen werden gemeinsam er- oder eingeworben.
Einige Wohngruppen wirtschaften solidarisch, das heisst, das gesamte in der Gruppe verfügbare Geld kommt in einen Topf.
Leistungen werden nicht ausgetauscht oder eingefordert, sondern auf freiwilliger Basis erbracht.
Das bedeutet, Pläne für die klassisch unbeliebten Arbeiten werden nicht so erstellt, dass jemensch gezwungen wird turnusmäßig dran zu sein.
Ebenso geht das mit den Skills: Jemensch, die etwas kann, oder lernen möchte, bietet der Gemeinschaft idealerweise dieses Wissen oder den gemeinsamen Prozess zum Teilen an.

Ablauf des Plenums

1. Moderationsperson bestimmen, Händis einsammeln und weit weg legen, weil diese gehackt als Abhörinstrumente genutzt werden können.
2. Eingangs-Input (Check-In): eine Person liest einen kurzen interessanten Text, über den gesprochen wird.
3. Einführungsrunde: jeweils 3 oder 4 Nebeneinandersitzende stellen sich gegenseitig vor und/oder sprechen ein paar Minuten.
4. Tops sammeln
a) Termine und von außen
b) persönliches
5. Tops besprechen
6. Abschluss (vergessen was das war und wie das hieß)

Orgastruktur
Hüte

Hüte
KüFa
Shitbrigade
Kolawie
Nachtschicht
mehr…?

AGs

AGs
awareness
infopoint
infra
actionpoint
presse
Prozess
Küche

Inis

Initiativen:
Barrikadenbau
safer spaces (bipoc, flinta)
Aktionen und Events
freeskater-Halle
temporäre AGs
….?

Details: Hüte

im Detail:
Hüte (repro & Care)
KüFa: Küche für alle, Frühstück und Abendessen; Lagerwirtschaft, food-Logistik
Shitbrigade: Komposttoiletten ausleeren und säubern,
Kolawie: Kollektive Landwirtschaft
Nachtschicht – Wachbrigade an der Eingängen zum Dorf

Details: AGs

AGs
awareness:
Belange der Fairness,
Mediation von Diskriminierungsfälle, Übergriffen und Unwohlfühlen, Triggern, Metaebene: weiterlernen, lesen und recherchieren, von Mitgliedern marginalisierter Gruppen lernen
Probleme identifizieren,
awareness Skills’ training
infopoint
Anlaufstelle für Besucher und Neue, aktuelle Pinnwand für Aufgaben, Workshops und Events
actionpoint
Tag und nacht besetzte Infoleitstelle, Funkzentrale
presse

Werte Grundsätze
Extrakt by Sibylle

Obwohl sich auf der Website keine Grundsätze finden, spürt man sofort vor Ort, dass es klare Werte gibt.
Deshalb versuche ich zusammenzutragen, was ich zu verstehen glaube:

1. Wir sind hier, weil wir die Umweltfolgen durch Braunkohleverstromung nicht tolerieren können und uns (rückhaltlos) für den Stop einzusetzen bereit sind.
2. Nachhaltige Änderung ist ohne Systemwechsel nicht möglich. Dafür bedarf es auch globaler Gerechtigkeit zwischen den Menschen.
3. In unserem Zusammenleben versuchen wir die Utopie eines solidarischen und nachhaltig wirtschaftenden Lebens zu entwickeln.
4. Die Rechte aller Lebewesen sind gleichwertig. Deshalb ernähren wir uns vegan. 5. Jeder Mensch hat gleich viel Recht mit den knappen Ressourcen dieser Welt umzugehen.
6. Jeder Mensch mag selber herausfinden ob und zu welchem Geschlecht er:sie:dey zugehörig ist und hat mit dieser Entscheidung vollumfänglich respektiert zu werden.
7. Derzeit ist es noch notwendig marginalisierte Gruppen (BiPoC, flinta, nicht normtypische Menschen), besonders zu schützen.
8. Unsere Nulltoleranz gegenüber Übergriffigkeit oder Zurücksetzung nimmt die einzelne Person, die sich getriggert fühlt, zum Maßstab.
9. Da weiße CIS Männer in Europa jahrtausendelang durch patriarchale Herrschaft tiefgreifend bevorzugt wurden, müssen sie heute zurückstecken, auch wenn sie persönlich keine Nutznießer dieser Strukturen sind und waren.
10. Wir gehen sensibel miteinander um und achten permanent darauf, niemanden zu verletzen oder zu marginalisieren.
11. Jeder einzelne von uns trägt seinen Teil der Verantwortung für das Ganze. Dafür gibt es keine Ausreden (mehr).

CIS Männer

Ich gehe davon aus, dass pkt.9 auf Widerspruch stoßen wird. Mit ‚Zurückstecken‘ meine ich nicht, dass sie weniger Freiheit haben als andere Menschen, sondern dass sie unabhängig von ihrem tatsächlichen Verhalten in ihrer persönlichen Geschichte als Angehörige dieser Gruppe mit einer Art Generalverdacht leben müssen. Wenn sich aber ein Generalverdacht auf eine qua Geburt definierte Gruppe richtet, ist der Tatbestand der Diskriminierung mE. gegeben.

Definition Diskriminierung

Da von Diskriminierung per Definition nur im Kontext eines Machtgefälles gesprochen werden kann, muss man den Kontext mitdenken. In der deutschen Gesamtgesellschaft (zB) ist das anders einzuschätzen als im Bezugssystem ‚Lützerath‘ oder ‚Linker Aktivismus‘.
Deshalb ist #WhiteLivesMatter rassistisch, auch wenn im luftleeren kontextfreien Raum an sich nichts gegen die Aussage spricht und sie auf den ersten Blick mit der Charta der Menschenrechte konform geht.
Die Aussage ist rassistisch, weil sie rassistisch gemeint ist.

Sprache
Schilder Text Codifizerung

Der ranzige Aal
ist ein Veranstaltungsraum in der Paula, einem Wohnhaus.
Die Lützerather haben keine Angst vor Schilderwald.
Aus dem Schilderwald kann man die Organisationsstruktur und die Grundwerte wenn nicht ableiten, so doch erahnen. Und manchmal sind sie lustig. Es gibt auch einen Schilderwaldparkplatz. In unserem Fotoheft bewirken die Schilder, dass nichts fehlt, die Schilder ersetzen dort die Bilder von Menschen. Der Mensch als Text. Die Schilder sind handgemalt und haben eine Ästhetik. Und natürlich gibt es Tags und jede Menge Sticker. Auf den Klos, alten Straßenschildern und sonstwo ist die ganze europäische Aktivistenwelt anwesend, wie eine Mindmap, zusammen mit den dummen und den klugen Klosprüchen. Etwa ein Drittel der Menschen zeigt sein Gesicht nicht. Und im Küchenberreich ist Maskenpflicht. Man könnte einen Weg durch das Dorf also auch als dreidimensionalen Comic beschreiben. Ein lebender Comic.

Comic Vermummung

Wenn man Schilder macht, die keine Piktogramme sind (Piktogramme gibt es eher nicht) muss man benennen. Auch vieles, über das im normalen Leben zwar gesprochen wird, über das die gesprochene Sprache oftmals auch hinwegwabert und Bedeutungen jedesmal ein bisschen anders fasst, über den Tonfall und weil sich Sprecher und Zuhörer abwechseln, während Benennungen auf Schildern eine Richtung haben und Sachverhalte oder ihre Fragmente definieren. Sie kodifizieren das Zusammenleben. Das Zusammenleben erscheint lesbar. Es ist ziemlich einfach sich eine gute Vermummung aus einem T-shirt zu machen. Die sieht auch bei mir gut aus. Dafür kuckt das Gesicht zunächst aus dem Halsausschnitt, die Ärmel werden am Hinterkopf so zusammengebunden, dass der Halsausschnitt sich zu einem Augenschlitz faltet. Das hält gut, mensch kann damit klettern und ist angenehm eingehegt.

Corona & Vermummung

Schon mit Corona kamen die Vermummungs-Koinzidenzen: Die ganze Gesellschaft, so sie rumlaufen durfte, bedeckte ihr Gesicht, wurde ähnlich unerkennbar wie h/nijab-tragende Musliminnen. Physische Entfernung wurde im Zeitalter elektronischer Kommunikation zu sozialer Distanzierung aufgebauscht. Die Krankheit und die Regierung hatten eine Gesellschaft des Innen und Außen geschaffen und der Barrieren.

Barrieren & Schutz

Barrieren sind nicht nur Störungen, die Kleidung und die Wohnung hegen den Menschen ein, und die Maske hegt noch mehr. Für Menschen deren Körper sich nur noch im bebauten Umfeld von Pflegeprodukten bewegen und die sich in einer schwindelerregenden Spirale von Empfindlichkeiten befinden, ist die Ansage ‚Maske tragen und Keime fernhalten‘ fatal.
Ich machte die Erfahrung, dass ich mich mit der Maske im Laden zwar weniger vor dem Virus als eher gesamtgeschützt fühlte wie vor 15 Jahren als mir nach meiner Rückkehr von zwei Wochen Teheran hier der Schutz nahezu gefehlt hatte. Alle denen Hasskappen bei Demos geläufig waren, konnten ein Lächeln über die Transformation des staatlichen Vermummungsverbots in ein staatliches Vermummungsgebot kaum unterdrücken.

Narrativ: Vermummung

An der Anonymität der Akteure in der Öffentlichkeit gerät immer wieder zum Anlass einen Pseudodiskurs vom Zaum zu brechen und mit einem Störfeuertypischer einen Nebenschauplatz zum Kampfplatz zu machen, um damit die Konfliktlinien, um die es eigentlcih geht, zu vermeiden. Auch auf die Gefahr hin dieser Riege von Ablenkern zugeordnet zu werden, möchte ich das im erweiterten Kontext angehen und hoffe nicht in die paternalistische Falle zu tappen.

Dem Narrativ nach ist die Vermummung im Lützerather Alltag der Preis für die Transparenz der Strukturen, die auch jedem Spitzel offenstehen. De facto ist die Vermummung cool. Widersinnigerweise wird sie nicht als Zeichen der Angst gelesen, sondern als Zeichen der Stärke und der Bereitschaft zum Heldentum. Sie ist Teil der Ausrüstung mit der man in einer elementaren, den Elementen näheren Welt eher überleben kann. Outdoorschuhe, feste Hosen, wasserdichte Jacken, am Karabiner mitgeführte Wasserflasche. Den Widrigkeiten des harten Lebens trotzen.

Letzte Generation: Bilder

Wenn man diese Bilder mit den Bildern der Leute, der Letzten Generation, die sich mit ihrem Gesicht in Warnwesten vor Gemälden deren Schutzgläser sie gerade mit irgendetwas bespritzt haben, fotografieren und anschließend von der Polizei abführen lassen, vergleicht, entsteht eine Emotionalität die gegenproportional zur Realität verläuft: Die Fotos aus den Museen und von den Straßen machen trotz des absolut weitgehenden Einsatzes der Leute irgendwie keine Bilder. Würden sie sich vermummen, entstünden Bilder. In einer Welt, in der Aktionen über massenhaft reproduzierte Bilder wirken, ist das tragisch. Dass ich nochmal jemandem empfehle sich für dieses Problem Profis zu holen, hätte ich nicht gedacht.

Das kleine gallische Dorf

In Lützerath, wie schon im Hambacher Forst funktioniert das von selbst. Auch die Baumhäuser sind iconic. Die Barrikaden. Das kleine Gallische Dorf. Hihi obwohl dort ja nur der Barde im Baumhaus wohnt, quasi abgeschoben ins beste Haus am Platze, weil es von dort aus wahrscheinlicher ist, dass die Ohren der Dörfler verschont bleiben. In Lützerath führt die Hierarchie der Wohnstätten definitiv von Stein zu Holz zu Klettergeschirr, von unten nach oben.

Letzte Generation:
Projektion Arbeitswelt

Die Aktivisten der Letzten Generation sehen nach WG-Zimmer aus, als hätten sie sich freigenommen in einem ihrer ersten Jobs oder in einer Teilzeit in einem dieser Millionen Orga-Jobs von denen man nicht versteht, dass es früher ganz gut ohne ging, oder als würden sie, sobald sie aus dem Polizeigewahrsam entlassen sind, wieder in die Bib gehen, weil sie sich dort besser auf ihre nächste Hausarbeit konzentrieren können, die dann auch hilft zu diesen Jobs zu führen.

Unterschiede im Symbolischen

Das Symbolische und das Symbolische
In Lützerath funktioniert das Ringen symbolisch als Modell, während die Letzte Generation das Symbol als Metapher einsetzt. Beides hat ntürlcih im wesentcihen mit Bewusstsein zu tun. Aber die Letzte Generation lebt einen Protest vor, der etwas bewusst macht, während Lützerath einen Protest vorlebt, der sowohl die Verteidigung als auch einen Lebensentwurf vorlebt.

Dorf und Sprache

Bezugi
Lützi, Hambi, Forsti, Mumme, Stammi, Tschüssi, Bocki, Bezugi
Vertrauen. Diese in den letzten 10 Jahren entwickelte Sprache fühlt sich nach Vertrauen an, Lützi ist, sobald ich das ausspreche, mein Dorf, jedenfalls bin ich berechtigt, es als mein Dorf zu empfinden. Diese Sprache ist im Gegensatz zu Gangsprachen, Jugendsprachen, die Sprecher cool stark erscheinen lassen eher so wie zuhause, Familiensprache. Das Dorf Lützerath wird neu erfunden, nicht nur als Organisation von Aktivismus und Zusammenleben, sondern auch als Ort. Anders als in den menschenleeren Dörfern Europas ist immer jemand unterwegs in Lützerath, permanente Bewegung, Begegnung. Das ist human, wenn man die Kriterien der sozialen Kontrolle selbst definiert, was – als Dörfer in Deutschland noch ähnlcih intensive Verkehrsgepflogenheiten hatten – nicht der Fall war, ein Grund warum viele dieser Lebenform in die Anonymität der großen Städte entfliehen wollten.
Die Wohneinheiten funktionieren hier nicht autonom, Schlafen, Arbeiten, Kochen, Essen, Toilette, Waschen,... alles ist nach Funktionen getrennt, manches zentral wie die Küche, manches in kleineren dezentralen Clustern, wie Toiletten oder Waschgelegenheiten, so dass das ganze Gelände stark frequentierte Verkehrsfläche ist, wie der Flur einer Wohnung mit 150 Zimmern und 10 zentralen Funktionsräumen.
Meine Bezugis sind Menschen zB eines Barrios, die ich entweder zu Anfang in Lützerath aufsuche oder mit denen ich schon hierher komme. Sie wissen immer wo ich bin, und merken somit, wenn ich zB in Polizeigewahrsam verloren gehen sollte.

Familiensprache

Tschüssi
Zum ersten mal wunderte ich mich vor vielen Jahren irgendwo im Osten, wo Nicht-Ortsansässige meist klar als solche definiert werden, dass ich von wildfremden, gediegenen, mittelalten Menschen beispielsweise aus einem Laden, mit ‚Tschüssi‘ verabschiedet wurde. Obwohl zunehmend üblicher, wunderte ich mich weiter, … um so mehr falls ich es selbst verwendete. War doch sonst meist ich diejenige (Selbstzuschreibung), die Zufallsbegegnete alsbald ins Vertrauen zog.
Stammi und Bocki las ich gestern sinnigerweise in der Schwarzen Pumpe, eine Kneipe aus der Wendezeit, der Stammi war reserviert und die Bocki kam optional mit der Kartoffelsuppe.
Ach ja und die Lieblingsmumme, die ist laut internet eine Erfindung aus Lützerath: Da sie auf der Spezialpackliste für Aktivisten steht, kann es eigentlich nur ein Vermummungutensil sein.

Offen geschlossen
Radikalität Militanz
Athen & City Plaza

Vor sechs Jahren recherchierte und fotografierte ich in Griechenland, es ging um die Krise, den Ausverkauf, die linke Regierung und die linke Bewegung.
Obwohl weit oben auf meiner Prioritätenliste, drückte ich mich bis kurz vor Schluss um die Kontaktaufnahme mit autonomen Flüchtlingsprojekten, es gab z.B. eines in der Uni, direkt neben dem Archäologischen Museum. Dort schlichen nah-östlich aussehende junge Männer als Gäste einer autonomen radikalen Linken durch die, mit Wachen besetzte und martialisch abwehrenden Sprüchen dekorierte, als Schlitz zu öffenende hohe Tür des klassizistischen Gebäudes. Sowohl Plakaten und Stickern in Exarchia, als auch Internetrecherchen und persönlichen Nachfragen hatte ich entnommen, dass diese Häuser, von denen es in der Gegend mehrere gab, Interessierten verschlossen waren. In verächtlichem Ton wurde ich zum City Plaza verwiesen, die würden es sogar zulassen, dass Menschen Bachelor-Arbeiten über sie schrieben. City Plaza kannte ich als ‚Das beste Hotel der Welt‘ aus einer Medico Kampagne und hatte ein paar Euro mit Spendenquittung abgeworfen. Im City Plaza lernte ich zum ersten Mal die Organisationsstruktur kennen, in die ich wenig später ähnlich bei der Viome in Thessaloniki und vor kurzem in Lützerath geriet. Aus meiner Sicht waren die Aktivisten nicht weniger radikal, als die in den Geflüchtetenburgen der sich im Kriegszustand nicht nur mit dem Staat, sondern auch mit allen Abweichlern befindlichen militanten Linken. Im Gegenteil die überwiegend ortsansässigen Aktivisten brachten über 400 Leute durch: Unterkunft, Ernährung, Beschulung der Kinder bis diese auf eine griechische Schule durften, Notfallversorgung und Behördenbegleitung. Es war gute Stimmung. Obwohl mit regelrechten Organisationen vernetzt, waren sie unbürokratisch und geldfrei organisiert. Jahre später, nach dem die Nea Democratia wieder an die Macht gekommen war, brachten sie die restlichen Bewohner in der Stadt unter und übergaben die Schlüssel Vertretern der ehemaligen Belegschaft, die wegen seit Jahren ausstehender Lohnzahlungen noch Eigentümer des Inventars waren (dies wäre zu verifizieren, bin auch nicht sicher, ob es sich dabei um moralisch oder juristisch definiertes Eigentum handelte).
Natürlich bewachte auch das City Plaza 24/7 seinen Eingang, der im Bedarfsfall stabil verschlossen werden konnte, aber am ersten Nachmittag stand ich bereits als Unterstützung in der Küche und verteilte die Photokamera an interessierte Bewohner, Fotoberichterstattung über ihr Leben hier selbst in die Hand zu nehmen. In Lützerath kann man auch sofort in der Küche stehen und beim Plenum dabeisein.
Das mit dem Kriegszustand. Das ist ein altes Thema. In Lützerath jedenfalls ist das kein Antagonismus, Offenheit und Kriegszustand geht beides.

Kriegszustand Lützerath

Symbolischer Kriegszustand ist, wenn der Ohnmacht etwas folgt. Denn die Demokratie kommt an ihre Grenzen, weil sie ein zerstörerisches Recht geschaffen hat, um dem Wachstum zu dienen. Die Idee dass die Mehrheit das Angemessene will, ist purer Idealismus. Bestenfalls. Und die Demokratie will auch keine Gerechtigkeit, denn sie will den Vorteil für 50,1% und gegenüber anderen nationalen Einheiten. Warum sehen die Grünen nicht, dass Nachbessern nicht mehr hilft? Panischer Stillstand, obwohl alles in Bewegung ist.

Ohnmacht Handeln Symbol

Viele Lützerather bereiten sich auf den Tag X mit Angst und Traumatisierung vor. Polizei. Zerstörung ihres Lebensraums durch die Polizei. Die Macht und die eigene Ohnmacht. Ein Schub kam mit dem 4. Oktober. Hier ist der aktuelle globale Wahnsinn symbolisch greifbar. Mensch ist ihm nicht mehr alleine, in Form von Arbeitsfeldern, Repräsentation in den Medien, Alltagshierarchien, WG-Suche etc. ausgeliefert, sondern lebt ‚Auge in Auge‘ mit der Übermacht, aber mensch kann dennoch handeln, direkt und gleichzeitig symbolisch. Mensch ist zusammen.

Polizei Triggern

...und Bullenschweine
In einer großen zugigen Halle sprachen wir am langen breiten Abendessenstisch über einen Unräumbar-Workshop. Von den neben uns sitzenden, die auf mich recht beschäftigt wirkten, bekam ich persönlich wegen der Grundgeräusche nichts Konkretes mit. Mein:e Gesprächspartner:in (Pronomen dey) machte mich freundlich darauf aufmerksam, dass die direkten Fragen zur Gesa, also welche Erfahrungen im Polizeigewahrsam zu erwarten seien, schon über den Begriff ‚Polizei‘, die neben uns Sitzenden, deren Erfahrungen wir nicht kennen, triggern könnten. Womit wir das Thema einvernehmlich beendeten.

Speziesismus

Der Begriff Bullenschweine ist speziesistisch diskriminierend, weil der Tieren, hier einer bestimmten Spezies, herabsetzende Zuschreibungen zuordnet. Dennoch ringt man sich nicht zu ‚Polizisten‘ durch, sondern schlägt Cops vor. Wie soll man mit Funktionsträger:innen, also Menschen, die ihr Geld unter anderem damit verdienen, systemische Probleme der Gesellschaft zu zementieren, sprachlich umgehen? Auch in Lützerath wird dieses alte kontroverse Thema nicht einheitlich gehandhabt. Mein Eindruck ist: Könnte sich das ZAD_Rheinland einigermaßen ruhig entwickeln, ginge man dem sich verstärkenden Widerspruch zwischen Diskriminierungsfreiheit und Feindbildern (mit denen die Vertreter zerstörerischer Strukturen adressiert werden) auf den Grund, weil die (von den Medien als ‚neue Empfindlichkeit‘ tituliert) Empfindsamkeit allenthalben erst gelernt und erprobt werden muss.

Altersdiskriminierung?

mutig
Eine kleine Begebenheit, die in eine universale Frage dazu mündet: Bei meinen ersten Aufenthalt sprach mich eine Sympathisantin an. Ob ich am kommenden Tag für ihre Bachelorarbeit für ein Gespräch zu Lützerath bereit wäre, weil es doch mutig von mir sei hier alleine hinzukommen. Ich sei nicht geeignet, weil ganz neu hier, ob sie es wegen meines hohen Alters mutig fände? Äh, ihr Vater habe gesagt, er traue sich nicht hierhin. Altersdiskriminierung? ...weil von meinen Handlungen unabhängig? Oder wäre so eine Einordnung eher #whitelifesmatter zuzuordnen, denn man darf mich apriori getrost zur Ruling Class dieser Gesellschaft rechnen?

Klammes Warten

Nach zwei Nächten musste ich weg, weil es abends sehr kalt war – und es passte nichts mehr in den übervollen Kopf. Kam zwei Wochen später wieder. Den Normalzustand, den ich nun verpasst hatte, gab es dann nicht mehr. Die Duldung war ausgelaufen und die Vereinbarung zum Abbaggern unterschrieben. Klammes Warten.

Mawa 2

11.10.
Mahnwache
Die Mahnwache ist als Dauerveranstaltung angemeldet, die früher quartalsmäßig verlängert wurde und später monatlich, bis Oktober. Solange Heukamp legal hier war, durften seine Wegerechte, obwohl bereits RWE Privatgelände, nicht eingeschränkt werden. Deshalb war die öffentliche Hand auch weiter für die Genehmigung oder Verweigerung von Veranstaltungen und Aufzügen zuständig. Sie wurde bis Ende Oktober wieder vorbehaltlich erteilt, dh sie kann kurzfristig widerrufen werden. Heukamp wird jetzt auch geduldet, im Schnelltempo eggt er mit einem Freund/Bekannten und zwei Traktoren wie angestochen über seine Ex-Felder nahe der Kante.

Formal:Verhandlung–Unterschrift

Es gab Verhandlungen, zwischen Bund, Land und RWE ohne Vertreter der Anwohner oder Aktivisten, die führten am 4. Oktober zu der Einigung Lützerath über die Abbaggerung von Lützerath. Was genau darin steht, ist nicht bekannt.

Da die Polizei Aachen regulär zwei bis vier Wochen braucht um einen Polizeieinsatz der geplanten Dimension zu organisieren, geht die Mawa davon aus, dass sie ein wenig Zeit haben wird, um an einen von der Polizei ersatzweise zugewiesenen Platz umzuziehen. Auch wenn sie dagegen klagen und gewinnen sollte, müsste sie bis zur Entscheidung den angestammten Platz räumen und könnte gegebenenfalls zurückkehren.
Da seit 1.10. auch Heukamp nur noch geduldet ist, hat die Genehmigung keine belastbare Rechtsgrundlage und ist wohl auf Absprachen zurückzuführen, dass RWE und der Regierungsbezirk Aachen den Polizeieinsatz auf einen passenden Zeitpunkt, zB nach der Bundesliga-Saison aber vor Ende der Rodungssasion durchführen.

Niemandszeit in L.

Seit Oktober begann die RWE die Bagger so zu lenken, dass sie Lützerath zunächst auf eine Halbinsel am Grubenrand zusammenschieben und schafft damit Tatsachen, die den Grund langfristig destabilisieren. Tatsachen die juristisch nicht mehr in Frage stehen.
Symbolische Tatsachen? Belagerungssituation.

RotgrünschwarzrotRWE

Wer als politischer Sieger aus der Auseinandersetzung hervorgehen wird, ist noch offen. Derzeit scheinen die medialen Gewinn- und Verlustrechnungen noch dem Dreigestirn Bundesregierung, Landesregierung und RWE günstig.

Verharren

Wenn die Aktivisten sagen: mit Lützerath fällt die 1,5° Marke haben sie möglicherweise rechnerisch recht.
Vor allem haben sie möglicherweise Recht, weil sie leben, dass sich das Zusammenleben ändern muss. Die Prioritäten, die Strukturen. Dass sonst alles verloren ist.
Und mit solch intransparenten Verhandlungen ist man mittendrin im Verharren. Im Verlieren.

Demokratie an ihren Grenzen

Natürlich wird ein Totschlagargument kommen: Was tun die Menschen, die die Gesellschaft am Laufen halten? Die Krankenschwestern, Jobcentermitarbeiter, Klempner? Aber auch die, die zB. ihre Familie mit zwiespältigen Jobs über Wasser halten, die vor allem die weisungsgebundene Arbeit für klimaschädliches Wirtschaftswachstum machen?
Alle Inititativen der Klima- und Umweltbewegung betonen, dass jede:r willkommen ist, sei es für eine Stunde.
Die überdeutliche sich immer schneller beschleunigende Eskalation in den letzten Jahren führt trotz dieser Frage zu einem Break-Even-Punkt, einem Punkt, der wahrscheinlich längst überschritten ist. Ein Punkt an dem ein jeder halbwegs gesunde Mensch in einen Notfallmodus wechselt und am Arbeitsplatz genau wie im privaten Konsum in einen radikalen Umweltstreik tritt und somit keine Arbeit für Ressourcenverschwendung mehr erledigt, keinen vermeidbaren Einkauf von Neuware tätigt, und auf dem Land Fahrgemeinschaften bildet.
Verpackungen von umwelt- und gesundheitsschädlichen Lebensmitteln werden im Supermarkt an den Regalen festgeklebt, Fleischtheken versiegelt und Barcodes unkenntlich gemacht. Wenn die Märkte keinen Sonderverkauf hinkriegen, stehen Containerer am Hinterausgang und bringen die dem Markt entzogene Ware zu öffentlichen Verteilungen. Was produziert ist, soll wenigstens gegessen werden. (Offizielle Foodsaver bleiben brav).
Wenn Glascontainer überquillen und gleichzeitig Lieferschwierigkeit der Glasindustrie beklagt werden, wird Wein nur noch vom Fass gekauft. Lieferanten, die nicht mitmachen, bleiben auf der Strecke, auch das Gesundheitsamt, falls es etwas dagegen hat. Wenn die Politik weiterhin keine überlebensfähigen Mehrheiten hinkriegt, soll es so aussehen.
Wenn die parlamentarische Demokratie erkennbar an ihre Grenzen stößt, kommen wir auf absehbare Zeit aus dem Generaldilemma ‚Selbstjustiz‘ nicht heraus. Wenn wir so handeln, müssen wir damit rechnen, dass Querdenker sich auch irgendwas ausdenken. Nicht, dass jede Überzeugung gleich viel wert wäre. Aber auch Querdenker, Neonazis oder religiöse Fanatiker sehen ihre Positionen vom Grundgesetz oder einem anderen übergeordneten Gesetz abgesichert. Sie blicken durch und wir anderen nicht: Die jeweilige Subjektive, egal wie wahnsinnig, hat so viel Kraft, wie die Akteure der ‚Blasen‘ ihr geben.

Berge Raum Größe Mensch Lös

Im Zelt.
Nachts die Geräusche aus der Grube weit entfernt niemals schlafend Rauschen, Knarzen, ständige Aktivität. Die akustische Anwesenheit von etwas Überwältigendem. Neben dem Wissen um die ungeheure Größe des Loches, die taumelnden Dimensionen, die Bagger zwischen Spielzeugen und Eiffelturm. Wenn man in Lützerath ist, geht man immer wieder an die Kante, wie man wenn man in den Alpen wohnt und immer einen Abendspaziergang im Angesicht der Berge macht, oder in Köln den Rhein, meinen Mississipi aufsucht. Die Menschen, die in der Nähe des Meeres arbeiten, müssen da auch immer wieder hin. Viele jedenfalls. In Sitakundo oder Scheveningen. Und das ist ein Teil des Zaubers von Lützerath, ein Teil dessen, was man schon vermisst, wenn man gerade dabei ist es zu verlassen. Das ist das absurde Geschenk, das die RWE den Klimaschützern macht. Und allen, die jetzt noch auf den letzten Drücker mit E-Bike oder PKW hier angefahren kommen und an der Mahnwache feststellen, dass sie ganz nahe an die Kante gehen und unter die abgebrochene Grasnabe, in eine fast vertikal und stabil ausgekratzte Tiefe schauen können. Sie werden sicher vom durch die Zeiten festgestampften Lösboden gehalten. Der Lösboden hat eine ungeheuer feinporige Textur und bildet eine harte Substanz, die mit Stein nichts zu tun hat, weil die winzigen Partikel nicht miteinander verklebt oder verschmolzen zu sein scheinen, sondern ineinander verhakt. Weniger verdichtet sind sie ganz locker und haben eine hohe Wasserspeicherkapazität, was bei Pflanzenwurzeln sehr beliebt sein kann.

Rethorik der Superlative
Existenzialismus der Superlative

Das Faszinosum der Grube mit den Spielzeugriesen auf der Sohle und den eigene Wolkenformationen kreierenden Kraftwerken kilometerweit am jenseitigen Ende des Lochs ist von einem rotblinkenden Wald von Windrädern umringt und das muss irgendwie gekontert werden. Zu den Superlativen muss man sich verhalten. Und es ist wieder die menschliche Hybris: ‚Wir’ bauen Gebirge und Seen. Das menschliche Wesen, die Vertreter des großen Geldes, sie machen das. Und der Klimaaktivist partizipiert. Er:sie lernt Klettertechniken, um in die Bäume zu gehen. Bezwingen wäre alte Rethorik. Die Stämme der Bäume sind schonend von den Seilen umschlungen, die die Baumhäuser halten. Baumhäuser, die das Dorf unräumbar machen. Sollen. Wenn sich Menschen oben aufhalten, darf man unten nicht die Kettensäge ansetzen. Unräumbar gibt es als Idee. Umräumbar ist die selbstbestimmte Besetzung des eigenen Gehirns.
Ja das ist die Idee, denke ich. Unräumbar ist ein Schlachtruf. Ein Symbol. Eine gute Idee denke ich.

Das harte Leben
neue Generation neue Arbeit
Verhalten in der Unmöglichkeit

Unräumbar ist auch die Berührung. Das Wiederfinden der Berührung. Nicht Muckibude, sondern Klimaschutz und radikale interne Gewaltfreiheit und Schweißbrenner, Materialtransport, Krisenlogistik, KletterSkillSharing, sich mit dem ganzen Körper in die Waagschale werfen. Das endgültige Ende der Komfortzone in jeder einzelnen Biografie. Das Ende des Sports, der unendlichen Varianten von Kulturtechniken, die allein dafür da sind, die Wirtschaft zu expandieren, Yogamatten an die Frau zu bringen, und Tickets für Himalayareisen zu verkaufen und den „modernen“ Menschen in einem verzweifelten Narzismus begraben. Und ja, die ganzen anderen Zwanzigjährigen mit Abitur, die nicht in Lützerath leben, die gibt es in Deutschland auch, und die tun mir irgendwie leid, weil sie sich mit dem Konsumieren, mit dem Kapitalismus und mit dem Mitmachen arrangieren müssen, sofern sie zu dem weitaus größten Teil gehören, der sich in die Lage gebracht hat, irgendwelche Fächer zu studieren, die zu irgendwelchen Berufen und Einnahmemöglichkeiten führen, die nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems sind. Das war in unserer, der sog. Boomergeneration nicht viel anders. Anders war, dass es eine Art Majoritätskonsens gab, das nicht wahrnehmen zu brauchen. Und wer es wahrnahm, war einsam. Nein das stimmt so nicht. Die Grünen waren schon gegründet. Es gab greenpeace Nabu Bund etc. Es gab Solidaritätsbewegungen, die eine nachhaltige Dekolonisierung unterstützten und die Zementierung der Marktungerechtigkeit, also den modernen Kolonialismus, aufzulösen suchten. Es gab sie, die Zivilgesellschaft. Aber es gab die Mehrheit. Mit der keine Wahlen zu gewinnen waren. Einsam war man trotzdem. Ich war keine Aktivistin, weil ich darin nicht gut war. Neben den ganzen Ängsten und der immensen Kommunikationsinkompetenz, die viele Wege versperrten, gab es die Arbeit, die Kunst, in der ich unabhängig blieb, zum Preis der Unsichtbarkeit. Oder wenigstens der Nische. Die Arbeit war an ein kaum vorhandenes Publikum gerichtet: Eigentlich ziemlich situationistisch, weil es mir um eine durch Transparenz von Wahrnehmungsmodellen und die mit denen verbundene (aesthetische) Lust, induzierte gesellschaftliche Veränderung ging, also um eine Welt die aus den Methoden und Fragestellungen der Kunst heraus transparent gemacht und verändert werden sollte. Eine Veränderung ohne Angst vor den Konsequenzen. Lust am Wahrnehmen von Komplexität. Eine Welt ohne Repräsentation. Ich denke, ich habe viel Richtiges gemacht, aber auf die falsche Weise.

Selbstreflexion S
S’ Unfähigkeit zur Strategie

Meine Welt war von Verständnis durchdrungen, weil das die einzige Art war, die Welt auszuhalten und weil Transparenz eine meiner Grundforderungen war, die ich an Politik, an meine Arbeit und meine Kommunikation stellte. Für mich gab und gibt es nach wie vor nichts Gutes, wenn die Feinstruktur nicht stimmt. Keinen guten Film mit unabsichtlich schlechten Dialogen. Der Zweck heiligte nie die Mittel. (Selbst wenn man weite steinige und kompromissbeladene, erschöpfende Umwege gehen muss). Wenn die Mittel (die Feinstruktur) nicht stimmten, nahm ich Abstand. Natürlich stellt sich vieles im einzelnen komplexer dar. Und Strategien (Vehikel und Fallen der Veränderung), die interessieren mich bis heute, brennend, aber es gab praktisch nie irgendwelche Augenblicke, in denen ich den Erkenntnisgewinn (und die mit ihm verbundene Lust) in strategisches Handeln hätte umsetzen können. Vielleicht nicht einmal Wollen. Es war wohl einfach eine Prägung, die ich in über 40 Jahren, da ich darüber mehr oder weniger klar Bescheid wusste, nicht hatte ablegen können.
Es soll hier weder um mich noch um die Boomergeneration oder mein Verhältnis zu ihr gehen.

Eiterbeulen

Nun platzen die alten Eiterbeulen nacheinander auf.
Sagt Nikolaus Hillebrand.
Das ist die Situation.
Das ist der Unterschied, vor 30 Jahren konnte man sich vielleicht damit beschwichtigen, dass die Menschheit noch irgendwie die Kurve kriegt. Nein, das konnte man nicht. Das war keine Option. Das habe ich auch nicht so gesehen. Ich wusste um die Fiktionalität. Ich wusste genau, dass ich nur denke, es sei so. Weil ich keine Ahnung hatte, wie ich sonst denken sollte. Es war so wie ich auch Ausstellungen machte, die keiner sah. Hauptsache, es hat mal exisitert. Ich hatte keine Angst vor dem was kommt. Ich weiss nicht warum. Hatte sie einfach nicht. Das beginnt nun anders zu werden. Es gibt jetzt keine Metaebene mehr, die mich über die Zerstörung hinwegsehen lässt. Und das ist fast permanent so. Die Eiterbeulen waren vielleicht noch trockene juckende Ausschläge oder sie lagen einfach nicht direkt vor der Wohnungstür.

ca. 10.10.22-10.11.22
Sibylle Hofter

clearing = Rodung Klärung Säuberung Aufklärung Lichtung Löschung Freischaltung Urbarmachung Verrechnung Freigabe

season = Saison Jahreszeit Staffel Spielzeit abschmecken trocknen altern


























LÜTZERATH LEBT
vielschichtig . . radikal . . wichtig






Eure Texte Anmerkungen oder auch Fragen bitte an sibylle at hofter de




oktober november dezember 2022



Es geht nicht darum, nachher einen einzigen gültigen Text zu haben, sondern verschiedene Perspektiven. Beim Weiterschreiben könnt Ihr jeden beliebigen Absatz als loses Ende auffassen, könnt das ganze auch von innen beschreiben, Motivationen, Herausforderungen, Erfahrungen, bestimmte Situationen, Alltag, Konfliktlinien, Stimmungen, Einschätzungen, Ausblicke etc. .... Bei dem Dialog interessiert mich auch, wie sich das anfühlt, beschrieben zu werden. Eine Person, die sich wirklich darauf einlässt, ist besser als 10 kurze statements. Wir leben in einer Öffentlichkeit der Statements. Statements brauchen wir selten. Ich freue mich von Euch zu hören und zu lesen!! viele Grüße, Sibylle




27.11.2022
schreibt weiter





Wofür? zur Veröffentlichung. evtl. Verlag suchen
geplant 21.1. im Kulturbunker Köln-Müheim




TheSchwimmer/18, 44 Seiten, von Kyne Uhlig und Nikolaus Hillebrand, 2022, hrsg. Sibylle Hofter